Thomas  Werk

 

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Die Idee, einen abstrakt gestalteten Engel von monumentalen Ausmaßen zu schaffen, der mit großem Gestus über den ehemaligen Todesstreifen an der Berliner Mauer wacht, und dies in unmittelbarer Nachbarschaft zur berühmten Versöhnungskapelle, ist kraftvoll und überzeugend. Dieser geschichtsträchtige Ort ist in der Erinnerung der Menschen unheilvoll besetzt. Ein unerschütterlich wirkender Wächterengel an gerade dieser Stelle der Stadt könnte ein markantes visuelles Zeichen setzen für die grenzüberschreitende Kraft des Glaubens und fügt so auch dem Thema "Erinnerungskultur" in dieser Stadt einen neuen Ton hinzu.

Georg Kardinal Sterzinsky

Erzbischof von Berlin, April 2006

 

Die Arbeit des Berliner Malers und Bildhauers Thomas Werk sieht ein skulpturales Bild im städtischen Raum vor. Dabei gehört der minimalistische Ansatz, die gestalterische Reduktion auf ein Minimum an Umriss, Volumen und Farbe, zu den Vorzügen dieser Skulptur. Auffallend ist, dass der künstlerische Entwurf ohne Ablenkung durch ornamentale Elemente auskommt. Der Betrachter wird nicht gestört durch Überfluss und Verschwendung in den eingesetzten Mitteln. Die Arbeit vermeidet jede geschmäcklerische Gefälligkeit, es handelt sich um eine Ästhetik der extremen Einfachheit, wobei Simplizität hier nicht Banalität bedeutet, sondern radikale Reduktion... Die radikale Reduktion der Form fordert Stille ein, sie propagiert Schweigsamkeit und einen hohen Ernst in der redseligen Bilder- und Sprachflut unserer Zeit.

Christhard-Georg Neubert

Stiftung St. Matthäus, Berlin, Juli 2006  

 

Der Entwurf des Engel-Monumentes von Thomas Werk greift eines der frühesten Motive der abendländischen Kunst auf, befreit es vom Ballast früherer Verkitschung und übersetzt es in ein unmittelbar eingängiges archetypisches Bildvokabular, das von jedem verstanden wird. Die Stilisierung zu einer schlichten Figur aus geometrischen Ur-Formen (Quader und Kugel) stellt die ideale Verbindung zwischen Figuration und Abstraktion dar. Der Engel wird somit nicht zu allzumenschlicher Banalität degradiert ... , ebenso wenig verflüchtigt er sich zum bloß virtuellen Phantasiewesen. Vielmehr läßt Thomas Werk den Engel das sein, was er der jüdisch-christlichen Überlieferung nach seit jeher ist: Ein reales, den Willen Gottes kündendes und zugleich den Menschen schützendes Geistwesen.

Dr. Jakob Johannes Koch

Deutsche Bischofskonferenz, Bonn, April 2007

 

Seine ungewöhnliche Dimension - etwa 15 m Höhe sind geplant - bestätigt bereits den monumentalen Anspruch seiner Skulptur für den öffentlichen Raum. Dieses skulpturale Bildwerk möchte sich nicht nur in den Stadtraum integrieren sondern auch intervenieren. Die Formen sind extrem einfach, geradezu archaisch in ihrer Reduktion auf geometrische Urformen. Kreis, Quadrat, Rechteck schaffen sich dreidimensional und blockhaft Raum und assoziieren in dieser strengen Abstraktion eine aufrecht stehende Gestalt mit ausgebreiteten Armen oder Flügeln. Erinnerungen an Kreuz und Tryptichon stellen sich ein bzw. sind möglich für diejenigen, die es zulassen. Diese Skulptur will ein öffentliches Zeichen sein - ein unaufdringliches, aber unübersehbares christliches Zeichen, fest geerdet in der Stadt Berlin und aufragend in den Himmel über Berlin.

Dr. Christine Goetz

Erzbistum Berlin
, April 2007

 

Was diese Arbeiten immer wieder so verstörend und reizvoll gleichermaßen erscheinen lässt, ist, dass sie sich einer eindeutigen Narration entziehen; sie sind trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Einfachheit viel zu komplex, als dass sie sich auf den Punkt deuten lassen. Ihr ästhetischer Reiz steht in einem überaus engen Zusammenhang zu dem, was uns als Betrachtern durch den Bildtitel nahegelegt wird. Und ich denke, gerade so, in dieser Vieldeutigkeit komplexer Geflechte spielt sich eben oft genug unser Bezogensein auf Gott in Jesus Christus ab. Selten nur werden wir an uns selbst zu Zeugen einer Eindeutigkeit der Nähe Gottes. Hier leben wir im Glauben, dermaleinst im Schauen, sagt Paulus. Jetzt werden wir uns immer wieder neu auf den Weg der Gottesbegegnung machen und müssen dabei mit Uneindeutigkeiten, mit Störungen und Abwegen auskommen, ja mit Zweifel und Ungewissheit, mit Anfechtung; dann aber, im Lichte, werden wir Gott schauen und das Alte wird vergangen sein. Die Zeichensprache der Arbeiten von Thomas Werk lebt eben in diesem sensiblen Respekt vor dem ganz Diesseitigen und dem, was wir hoffend bedenken...  

Christhard-Georg Neubert

Stiftung St. Matthäus, Berlin
, Juni 2007  

 

"Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar"  -  dieser oft zitierte Satz gehört zu den zentralen und mit Recht berühmt gewordenen programmatischen Behauptungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert. Es war der Maler Paul Klee, der diesen lapidaren und  zugleich wirkmächtigen Satz im Jahre 1918 niederschrieb, gleich zu Beginn seiner von ihm selbst so bezeichneten "Schöpferischen Konfession". "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar" - war im zeitlichen Kontext zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zündstoff. Denn gemeint war nichts weniger als die grundsätzliche und radikale Infragestellung des Abbildprinzips in der bildenden Kunst, das seit Jahrhunderten gültig war. Es ging damit um die Autonomie der künstlerischen Mittel und damit um die Befreiung des Geistigen aus den Zwängen des Gegenständlichen und Materiellen. Es war die Geburtsstunde der abstrakten Kunst. Das war vor ca 100 Jahren, aber es lohnt sich, diesen Satz von Paul Klee immer wieder zu zitieren, auch heute an diesem Ort. Die künstlerischen Arbeiten von Thomas Werk ( 1971 in Berlin geboren, im früheren Ostteil von Berlin), die ab heute in diesem wunderbaren Kirchenraum zu sehen sind, haben damit essentiell zu tun. Es ist der nüchterne und zugleich hohe Ton der Worte von Paul Klee: beide sind entscheidende Momente in den Arbeiten von Thomas Werk, das Lapidare und die Offenbarung, die Nüchternheit und der hohe Anspruch - das nicht Sichtbare sichtbar machen. Das bedeutet die Verweigerung jeglicher Illustration von sichtbarer, gegenständlicher Wirklichkeit. Alle Arbeiten, die hier zu sehen sind, haben eine christlich-religiöse Inspiration als Ausgangspunkt. Es sind insgesamt 33 Arbeiten, davon 7 Skulpturen aus Stahl, 1 Arbeit in Holz und 25 gemalte Bilder. Die Skulpturen sind im vorderen Eingangsbereich aufgestellt, die Bilder hängen an den Wänden der Seitenschiffe. Alle Arbeiten haben vom Künstler Titel erhalten: "Bergpredigt", "Leidenskelch", "Vergebung", "Gebet", "Kruzifix", "Pieta", "Auferstehender" und "Offener Himmel" um nur einige zu nennen. Auch die Skulpturen im Eingangsbereich sind vom Künstler selbst bezeichnet und stammen aus dem religiösen Kontext: "Gebet", "Engel", "Betende Hände" und andere ... Wir wissen ja, daß so gut wie alle Kunstbetrachter gerne erst den Titel und dann das Kunstwerk  anschauen. Das geht hier nur mit Zettel (gleich beim Eingang zu haben) und macht die Sache aber nicht unbedingt einfacher. Denn alle Arbeiten von Thomas Werk sind freie Figurationen, die bisweilen Assoziationen an Gegenständliches zulassen oder herausfordern, aber niemals etwas Sichtbares abbilden oder illustrieren. Bei den gemalten Arbeiten sind es  zeichenhafte und gestische Figuren mit viel Umraum auf weiten Flächen, die Skulpturen schaffen sich ihre Räume aus der Dreidimensionalität. Kein Auge hat diese Figurationen in dieser Form je zuvor gesehen. Das Zeichenhafte und Gestische dieser Werke, ob gemalt oder in dreidimensionalen Skulpturen geschaffen, ob streng gebaut oder dynamisch bewegt, erzeugt Räume der Imagination. Sie erzählen nichts, was wir schon wissen, sie verfügen über nichts, diese "Zeichen und Wege" - so der Titel der Ausstellung - sie suchen vielmehr etwas. Die visuelle Energie, die in dieser Suche nach der Gestalt und dem Ausdruck in diesen zeichenhaften Arbeiten steckt, enthält ein starkes Moment des Ergriffenseins. Das heißt, jedes Bild - zum Beispiel auch das, was auf der Einladung abgebildet ist  - "Ich erzähle Dir meine Wege nach Ps. 119" zeugt vom Ergriffensein.Die Art und Weise der Entstehung der gemalten Bilder läßt das nachvollziehen, vielleicht, der Künstler ist anwesend, man könnte ihn über seine Arbeitsweise befragen. Deutlich wird beim Blick aus der Nähe, daß für diese Bilder keine Vorzeichnungen möglich und nötig sind, weil dieses Suchen, von dem eben die Rede war, ein Weg ist, der zwar gedanklich und gefühlsmäßig vorbereitet ist und dann aber prozesshaft schnell ins Bild gesetzt wird. Inspiriert und beeindruckt von Worten aus den Evangelien (Bergpredigt, Golgotha und andere) oder der mitreißenden Poesie der Psalmen - die der Künstler meistens in winziger, enger, kaum erkennbarer Bleistiftschrift auf dem Bildfeld mitliefert - werden zu bildhaft gestalteten Chiffren und Paraphrasen,  wenn Empfindung, der Pinsel in der Hand, das Papier und ein bestimmter Zeitpunkt konzentriert, energetisch und rasch und dabei überaus präzise zusammenkommen - jedes Bild ein Risikounternehmen. Denn das Ergebnis ist nicht korrigierbar. Der Künstler kann es verwerfen oder akzeptieren, aber nicht korrigieren. Es ereignet sich. Das heißt, was hier an den Wänden zu sehen ist, sind Ereignisse, Zeugnisse des Ergriffenseins und damit auch des Verletzlichen und der Anfechtung, übrigens auch zentrale Momente eines jeden Glaubens. Es gibt keinen Glauben ohne dieses Ergriffensein, ohne diese Anfechtung. Gleichzeitig haben wir es mit einer robusten Ästhetik zu tun. Man spürt, daß Thomas Werk die Körperhaftigkeit und das Geerdete kennt, eigentlich sogar zum Ausgangspunkt nimmt, denn die menschliche Figur taucht in streng vereinfachter, stilisierter Form immer wieder auf. Die bildimmanente Suche nach Grenzüberschreitung des rein Irdischen und Materiellen ist Teil dieser unsentimentalen Werke, die aber intensive Gefühle freisetzen können. Oft haben die Figurationen, die Blöcke, Stäbe und Kreise keine festen Umrisse, sie fransen aus, öffnen sich, hinterlassen Spuren in Form von Farbspritzern und Flecken, sind in sich unperfekt und suchen etwas im weiten Bildraum. Wer kennt schon die Wege? Unübersehbar ist dabei die reduzierte Farbigkeit, besonders prägnant im räumlichen Kontext dieses starkfarbigen expressionistischen Kirchenraumes. Thomas Werk kommt im Wesentlichen mit 2 Farben aus: Rostrot und Schwarz, keine herrlich leuchtenden Farben, sie sind eher stumpf und matt und auch das bislang selten vorkommende starke Gelb, ist dunkel vermischt, das Strahlende gezielt vermieden, ein schmutziges Gelb wie bei der Darstellung "Auferstehender". Das Rostrot ist eine in Schweden gebräuchliche Holzschutzfarbe, sehr haltbar. Von der Material-Ikonografie her also betont alltagsgebräuchlich, unfeierlich, bedeutet das Gegenteil vom Goldgrund. Das Schwarz ist von der gleichen Grundsubstanz. Auch Tusche und Gouache, die eine fluide Qualität erzeugen, kommen vor, und häufig Kohle.Bei dieser gezielten Reduktion der künstlerischen Mittel - im Gestus des Farbauftrages wie der unbunten Farbpalette selbst, bekommen die Arbeiten eine Strenge, die nicht nur eine erstaunliche Wirkkraft hat sondern auch dem Auge wohltut angesichts des penetranten zeitgenössischen Bilderlärmes in unseren Stadträumen. Hinzu kommt die wirklich edle Rahmung dieser Bilder. Sie sind auf Papier gemalt, sind dann von einem Buchbinder auf große helle Leinwände aufgezogen und erhalten dadurch eine Großzügigkeit, eine Noblesse, die sie von ihrem Gehalt her auch fordern.Die Arbeiten von Thomas Werk sind asketisch, sie fasten. Bilder wie Skulpturen haben etwas Karges und Schweigsames und in dieser enthaltsamen Ästhetik besteht ihr Geheimnis und ihre bisweilen kalligraphische Kostbarkeit, ganz ohne wertvolle Materialien. Dabei wird sich nicht jedes Werk für jedes Auge gleichermaßen erschließen. Je mehr Zeit Sie übrig haben, um so eher bekommen Sie Zugang ... die Titel können dabei helfen - oder auch nicht. Unter der Überschrift "Zeichen und Wege" sind die Bilder hier an den Wänden der Seitenschiffe des Kirchenraumes zu sehen. Bei ihrer Hängung, die der Künstler selbst vorgenommen hat, herrscht eine überlegte Ordnung, der Sie folgen können, wenn sie wollen, aber zum Verständnis der Arbeiten nicht unbedingt müssen. Es sind an jeder Wand entlang der Seitenschiffe jeweils 9 Bilder, die in Dreier- Konstellationen wie Triptychen zusammen gesehen werden können. Sie entstanden zwischen 2003 und 2008. Der Rundgang beginnt vom Eingang her gesehenen links mit der ersten Dreierkonstellationen, eher kleinformatig - Engel/Jesustorso/Weinstock - geht weiter über die schon mehrfach ausgestellte Verkündigung an Maria über eine ganz neue Holzskulptur mit dem Titel Wegrandkapelle (aus Fundstücken zusammengesetzt), die im ersten Abschnitt des Seitenschiffes frei im Raum steht, und weiter geht es dann entlang des Seitenschiffes mit den Dreier-Konstellationen Stall/Kruzifix/Pieta und Tisch/Bergpredigt/Schädelstätte bis zum Ende des Seitenschiffes, und setzt sich dann auf der anderen Seite von der Chorseite her gesehen fort und entläßt uns  wie ich finde höchst sinnfällig mit dem Pilger neben dem  Ausgang. Bleibt zu sprechen von den Skulpturen, ein wichtiger, wenn nicht zentraler Bereich des künstlerischen Schaffens von Thomas Werk. Es sind Prototypen aus Stahl für Monumente, die in wirklich monumentalen, geradezu riesigen Dimensionen vom Künstler gedacht sind, z.B. als Monumente im städtischen Raum.  Diese Prototypen sind auch in ihrem kleinen Format ( um die 40 cm hoch) eindrucksvolle Kunstwerke: die Klage, die betenden Hände, der Stern von Bethlehem oder der Engel. Für diese Stahl-Skulpturen entstehen Vorzeichnungen, nach denen der Metallbauer Einzelelemente anfertigt und miteinander verschweißt. Ganz neu angefertigt wurden dafür die Sockel, sie bestehen aus unbearbeiteten älteren, geradezu historisch anmutenden Stahlplatten, die vom Künstler völlig unbeeinflußt eine hoch differenzierte Färbung angenommen haben, die staunen läßt. Erinnern sie doch an den teuerst hergestellten Stuckmarmor, den wir aus barocken Altären kennen - und das für Skulpturen, die alles andere als barock sind, aber doch in aller Armut eine feierliche, fast sakrale Aura bekommen. Auf den im Eingangsbereich gleich in den Blickpunkt gerückten Engel sei besonders hingewiesen. Seine Formen sind extrem einfach in der für Thomas Werk typischen Reduktion auf geometrische Urformen: Kreis, Quadrat, Rechteck schaffen sich dreidimensional und blockhaft Raum und assoziieren in dieser strengen Abstraktion eine aufrecht stehende Gestalt mit ausgebreiteten Armen oder Flügeln. Erinnerungen an Kreuz und Triptychon stellen sich ein, wer derartige Assoziationen zulassen möchte. Gedacht ist dieser (noch) kleine Engel als öffentliches Zeichen in der Stadt, vielleicht Berlin, fest geerdet und gleichzeitig aufragend in den Himmel. Gerade der unprätentiöse Werkstoff Stahl eignet sich für dieses Monument hoheitsvoller Stille. Man könnte sich vorstellen, wie der Engel hoch in die Lüfte ragt und der Himmel und die wechselnden Witterungs- und Lichtverhältnisse an der Wirkung mitbauen - ein Projekt, das der Realisierung harrt. Vorerst steht der Engel in guter Umgebung  auf seinem schönen Sockel in dieser so besonderen und kraftvollen Kirche am Hohenzollernplatz, wo er sich gar nicht schlecht macht. Es ist Thomas Werks erste große Ausstellung in Berlin - ich beglückwünsche ihn. Seine Arbeiten haben hier einen großartigen Ort gefunden.

 Dr. Christine Goetz

Kunstbeauftragte des Erzbistums Berlin; ZEICHEN und WEGE, Rede zur Ausstellungseröffnung
Kirche Am Hohenzollernplatz, 20. September 2008
 

 

Der erste Katalog eines jungen Künstlers (geb. 1971), gesponsert von einem Ehepaar, das sich angesprochen fand durch die Arbeiten in der weiträumigen Höger-Kirche am Hohenzollernplatz. Auch diese - in sich schon künstlerisch reich instrumentiert - ein Spiel-Platz der Stiftung St. Matthäus unter der Leitung von Christhard Georg Neubert. Das jüngste und derzeitige Ereignis dort sind die der Körper-Seele-Osmose gewidmeten fein-groben Arbeiten von Sabine Hoffmann, Stuttgart - Arbeiten in Textil, die sich gegen den Putz der Wand und den Stein der Architektur abheben. Auch sie ist Danzigerin wie Gabriela Nasfeter, die in Ulm und Berlin (da im Dom, an der Mauergedenkstätte, in St. Matthäus) wie auch anderswo Furore machte, sie mit majestätischen Dimensionen. Für beide Arten der Textilkunst gibt es in Polen eine große Tradition. Und während in St. Matthäus, der Stiftungs-Kulturkirche der Landeskirche am Kulturforum, befreit von üblichen parochialen Zwängen, sich mehrfach im Jahr eine erstaunliche Abfolge von Vernissagen bereits arrivierter wie gerade erst sichtbar gewordener KünstlerInnen ereignet, oft noch verbunden mit einem eigens dafür geschaffenen Werk der Reihe „Das Andere Altarbild" - ist die Kirche am Hohenzollernplatz eine reguläre Gemeindekirche: Sehschule für jedermann unter den Kirchen- und Gottesdienstbesuchern. Hier pflegt man längerfristige „Sommer-Ausstellungen zu veranstalten, verbunden, gewiß, mit hochrangiger musikalischer Darbietung. Und übrigens, ein Erbe eines Kunstbeauftragen -Vorgängers, Bringfried Naumann, fortführend, auch mit der Pflege des Worts: „Mein Psalm". Jährlich einmal ist ein/e AutorIn eingeladen, einen solchen als den eigenen in neuer Sprache anzusagen. Inmitten der Ausstellung Sabine Hoffmann also dieses Jahr Anja Utler (zu Psalm 19). Bereits Tradition ist es, von Wolfgang Huber an Markus Dröge weitergegeben, daß hierbei der Bischof das Wort der Predigt pflegt: eine Hör-Schule also inmitten der Seh-Schule. In dieser Kirche leitete Thomas Werks Werk zum Sehen an. Entlang der langgezogenen Nischen der beiden Seitengänge des Schiffs waren die Miniaturen, je zu dreien gruppiert, zu „lesen". Papierarbeiten. Papier? Darauf schreibt man gewöhnlich. Mit Schriftformen hat in der Tat dieses Werk zu tun. Zeichen auf oft beigem oder sandfarbenem Grund, angesiedelt zwischen erster Vor-Zeichnung, nur die Fläche markierend, geometrischen Einfach- Formen, Lettern, Kürzeln. Bleistift, Kohle, Pinsel-Strich, Tusche. Wo Farbe kommt, ist sie zumeist fonciert, grau, braun, schwarz kann es sein. Alles knapp gehalten - viel Platz zum mit-denkenden Nach-Sehen. Gleichsam Ur-Zeichen. Orphisch? Es erscheint mir wie eine Studie, eine Elementarschrift zu entwickeln, Für eine Elementarsprache. Die weniger schreiben und mehr sagen möchte mit wenig(er). Nicht zu unrecht erinnert Bernhard Lindemann, Direktor der Berliner Gemäldegalerie, an asiatische Traditionen der Schriftkunst und der Kunstschrift. Papier, Wasser, „"Falu Rödfärg" (ein rostbrauner Ton) neben Schwarz. Und manchmal minimale Notizen, die man auf den Blättern entdecken kann, die etwas in Richtung auf ein Thema ganz klein andeuten. „Karge Ästhetik". Diese Bilder „fasten", sagte Christiane Götz.Verführerisch freilich sind dann die Titel, die durchgängig in dieser Ausstellung biblische Bezüge herstellten. Man muß mit ihnen richtig umgehen, damit sie sich dem Betrachter nicht aufnötigen. Und die Betrachtung engführen. Vorschlag: Man nehme zur Kenntnis, daß der Künstler durch das genannte Motiv angeregt ist. Man  nehme sich zugleich die Freiheit, sie mehr oder weniger stimmig zu finden - oder die Ausführung. Man kann es ja für sich selber durchspielen. Ins Prokrustebett der Titel-Vor-Schrift gezwängt, mag man zuweilen den Kopf schütteln, unwillig der Weisung zu folgen. „Das soll das sein? Den Titel hätte er sich sparen können". Doch schon hätte man sich in der Mimetikfalle gefangen. Ich verstehe den Künstler so, da er assoziierend, wie ein Kind mit Kegeln spielt, die Grundformen arbeiten, die Zeichen eine Geschichte erzählen, die Gestik eine Szene entwickeln lässt. Spielen wir, assoziieren wir mit - wohin dann auch immer entführt. Vielleicht hat ja auch das berühmte „o. T.", das so viel Seriosität in Anspruch nimmt, irgendwann seine Strahlkraft verloren. Wer will es einem Künstler verwehren, uns eine Richtung seiner eigenen Assoziation zu nennen? Wäre es nicht gerade die Bibel, hätten wir wohl kaum ein Problem damit. Elementarisierung gerade hier, als wäre es für eine Kinderbibel: why not? Die Erwachsenen mögen sich dann an den Augenblick, an den schon wartenden neuen Gestus halten: den sie selber erbringen sollen. Die Kinder tun es ohnehin. Diese könnten auch prima spielen, wenn die Prototypen für die gemeinten stählernen Groß-Skulpturen im Außenraum - in der Kirche stehen sie in der hohen Halle des Vorraums - noch kleiner vorhanden wären. Auch das eine Anregung für den Künstler? Und für die Gemeinde: die Seh-Schule als Spiel-Schule.

Manfred Richter

artheon, 23.08.2011

 

Kreuze, monumentale Engel, geschliffene Metallskulpturen, Arbeiten auf Papier - der 1971 in Ost- Berlin geborene und evangelisch aufgewachsene Thomas Werk gilt als Wegweiser für moderne, ernsthafte und überwältigende Kunst im konfessionellen Raum. Seine Arbeiten wirken nicht schön, sanft oder niedlich. Rauh und ruppig streben seine zernagelten Hölzer Richtung Himmel, manchmal ist ihre Haut aufgerissen oder notdürftig übermalt. Diese Kunst ist nicht jedermanns Sache - wie moderne Kunst nie von allgemeinem Gefallen sein kann. Werks Arbeiten provozieren, nicht bis an die Schmerzgrenze, jedoch gerade soviel, um heftige Diskussionen auszulösen. Was darf man, was ist erlaubt? Wer legt fest, was erlaubt ist? Die Friedrichshagener Gemeinde hat in Ansätzen und im kleinen Kreis gespürt, wie engagiert und mitunter heftig moderne, positionierte und eben sperrige Kunst die Herzen bewegen kann. Thomas Werk ist es hervorragend gelungen, biblische Erzählungen in neuer, radikaler Form darzustellen. Er will die Diskussion, weicht ihr nicht aus; wenn Menschen von Kunst bewegt werden, ist das für den Künstler hoher Lohn, sonst wäre seine Kunst tot oder für kleines Geld im Baumarkt zu haben. Werks Bilder und Skulpturen haben mich tief beeindruckt, weil sie erahnen lassen, dass da einer mit Herz, Verstand und Bauch Evangelien bebildert. Und nicht nur bebildert, sondern lebt. Das Zusammengehen von Wort und Tat in dieser Welt ist nicht eben selbstverständlich, dadurch aber werden die Arbeiten des Künstlers einzigartig, echt und wertvoll.

Uwe Baumann

Grossartiges Werk. Über die Ausstellung des Berliners Thomas Werk im Evangelischen Zentrum Berlin, Christophorusbote, Dezember 2009

 

Monumentales Denken hat unsere Zeit nachhaltig geprägt. Der Mensch versucht Natur und Geschichte zu beherrschen und schafft eine Welt der Zerstörung. "Engel", "Gebet" und "Betende Hände" des Berliner Künstlers Thomas Werk stehen im Schnittpunkt dieser existentiellen Spannung. Diese Monumente sprechen von der großen Sehnsucht nach Frieden, nach Wahrheit und spiritueller Kraft. Gleichzeitig aber sind sie Zeichen aus einer anderen Welt, die unserem Leben Richtung und Weisheit geben können. Wo sollen sie stehen? In unseren Landschaften und Städten, als Zeugnisse der Achtung vor einer verwundbaren Schöpfung ...

Dr. Bernward Konermann

KÜNSTLERHAUS BERLIN, Dezember 2004

 

Wie viele Zeichen sind notwendig, um von einem Betrachter als menschliche Figur identifiziert zu werden? Thomas Werk  kommt in seinen Bildern mit zwei Zeichen aus: einer Geraden und einem Kreis. Für die Erkennbarkeit ist es ausreichend, wenn sich die runde Form des Kopfes in unmittelbarer Nähe oder direkt an einem Blockstreifen befindet, um sofort als Körper interpretiert zu werden. Mehr braucht es im Grunde also nicht, um einen Menschen - oder die Idee einer menschlichen Figur darzustellen. Alles andere ist schmückendes Beiwerk. Konsequent und fast provozierend setzt der Maler seine  puristische Einfachheit gegen die narrativen Momente und ästhetischen Begierden unserer Zeit. In seinen Bildern konfrontiert Thomas Werk die Betrachter mit dem Extrakt seiner zu vermittelnden Botschaft, der man nicht aus dem  Wege gehen kann.

Dr. Sabine Maria Hannesen

aus "Die Schönheit der einfachen Dinge"
alte und neue Kunst, Band 43, Paderborn, 2006

 

Den Schwerpunkt lege ich dabei auf das Titel gebende Werk "Bergpredigt".Bevor wir uns jedoch dieser Arbeit direkt zuwenden, bitte ich Sie zuerst einmal Ihre Phantasie spielen zu lassen. Wie stellen Sie sich eine Darstellung der Bergpredigt vor? Vielleicht tauchen vor Ihrem inneren Auge sogar einige Gemälde aus der Kunstgeschichte auf - wie z.B. das Gemälde des barocken Malers Claude Lorrain (1600-1682; New York, Frick Collection) oder der Stich "Die Bergpredigt Jesu" des Romantikers Julius Schnorr von Carolsfeld aus seiner Bilderbibel? Vielleicht konnten Sie auch schon eine Führung durch das hiesige Zisterzienser Kloster mitmachen und haben dort im  Laienrefektorium das Fresko "Die Bergpredigt" des Malers Eduard von Gebhardt (Ende des 19.Jh.) entdeckt? Ich vermute, dass Sie sich Jesus in jedem Fall erhöht auf einem Berg vorstellen. Umgeben von der großen Schar seiner Jünger und Zuhörer, die staunend zu ihm emporblicken. Was bietet dagegen die Kunst Thomas Werks dem Betrachter? Das Charakteristische an seinen Arbeiten lässt sich wohl am besten dadurch definieren, in dem man darauf aufmerksam macht, was man auf seinen Bildern alles nicht sieht! Trotz seiner Freude an Naturstudien zeigt der Künstler dem Betrachter keinerlei Hintergrunds- oder Raumangaben. Wir entdecken nicht einmal eine Horizontlinie oder einen Hinweis auf eine bestimmte Tages- oder Jahreszeit. Würde man die Arbeiten nicht sehen, sondern nur ihre Beschreibung hören, könnte man meinen, seine Darstellungen schwebten in einem luftleeren Raum. Und tatsächlich strahlen sie den Zauber einer visionären Erscheinung aus. Durch den fehlenden Hintergrund und die ruhige Haltung erlangen seine Figurengruppen und Einzelfiguren Allgemeingültigkeit. Darin wird Werks Neigung zur 'Monumentalität' erkennbar - jedoch niemals protzig prahlerisch, sondern immer in schlichter Bescheidenheit und Stille. Nicht das Sosein eines bestimmten Menschen ist gemeint, sondern ein allgemein verständliches Bildzeichen für Mensch. Die klaren Formen sind wie Bausteine aneinander und übereinander gesetzt. Allein durch geringfügige Überlagerungen wird den Figuren Volumen verliehen und eine gewisse Bildtiefe angedeutet. Nur durch die Anordnung der Blockstreifen kann der Betrachter die Haltung einer Figur ermitteln. Detaillierte Binnenzeichnungen gibt es nicht. Thomas Werk nimmt sich die geistige Freiheit "seine" Bergpredigt stilistisch ganz anders zu gestalten, als nach unserer herkömmlichen Sehgewohnheit. Die Zuhörer stehen zu beiden Seiten neben ihm und blicken auf den Sitzenden herab! In einer Art zusammengefalteter Haltung sitzt Christus versunken auf dem Boden. Der Zeichenanordnung nach zu schließen, hält er sein Haupt nach vorne geneigt, vielleicht auf ein inneres Hören konzentriert, so als sprächen in der Bergpredigt die Worte des Vaters durch ihn. Keine vehementen Gesten, keine eindringlichen Aufrufe an die Versammelten den Geboten Gottes zu folgen - ja anscheinend nicht einmal ein Blickkontakt mit seinen Jüngern - sondern eher eine meditative Besinnung, ein leises Raunen über die christlichen Glaubensinhalte. Die Jünger beugen Ihren Kopf vor ihm, vor seiner Weisheit. Die Göttlichkeit Jesu bedarf für Thomas Werk keines äußeren Machtzeichens...

Gab es bei der "Bergpredigt" noch letzte Anklänge an figürliche Formen, wagt der Künstler bei seinem Werk "Dreieinigkeit" den Schritt in die reine Abstraktion. Eine geometrische Komposition in roter Falu Rödfärg - Farbe mit zum Teil auslaufenden Farbrändern. Ja,    -  aber darüber hinaus noch weit mehr. Thomas Werk komponierte aus den drei geometrischen Grundformen - Quadrat, Kreis, Dreieck - seine persönliche Auffassung der Trinität. In freiem, ungebundenen Umgang mit Jahrhunderte alten Bildvorstellungen und Bilderwartungen reduziert er alles auf ein Minimum: Wir sehen - nahezu auf einer Ebene - drei ineinander verankerte Zeichen. Das leicht erhöht angeordnete Dreieck verbindet Quadrat und Kreis und bildet dadurch andeutungsweise eine pyramidale Komposition. Die drei Zeichen sind in ihren Maßen und Proportionen absolut gleichwertig - jedes für sich ein Symbol der Vollkommenheit und Ganzheit und Ruhe. Sie sind nicht exakt mit Lineal und Zirkel entstanden - sind keine toten Linien und Formen, sondern durch den malerischen Duktus bleiben Anfang und Ende der Strichführung und Werks individuelle Handschrift erkennbar. Der Künstler weist den drei geometrischen Grundzeichen eine neue geistig-geistliche Bedeutung zu: als Symbol für das Mysterium der Dreifaltigkeit - drei Wesen in einem - weit entfernt von dem Wunsch, die Unmöglichkeit einer Gottes-Abbildung außer Kraft setzen zu wollen. In der Kirchengeschichte gab es gegenüber abstrakten Gottes-Zeichen aber auch immer wieder Einwände und Verbote: Dies betraf vor allem das Dreieck, das dem Verdikt des Augustinus ausgesetzt war, weil es damals gleichfalls von einer ketzerischen Gruppierung (den Manichäern) verwendet wurde. Es blieb aber trotzdem gebräuchlich und wurde seit dem 17. Jahrhundert vorherrschend mit der Hand oder dem Namen Gottes oder mit dem Auge Gottes im Strahlenkranz dargestellt. Das 14. Jahrhundert entwickelte das Symbol dreier konzentrischen oder in sich verschlungenen Kreise. Schon früher kamen Durchdringungen von Kreis und Dreieck vor, die als Zeichen göttlich-kosmischer Harmonie galten und in diesem Sinne in gotische Architekturentwürfe mit einflossen; wobei direkte, trinitätsbezogene Grundrisse erst im Barock auftauchen. Im Gegensatz zur griechischen Tempelarchitektur und zu islamischen Moscheen (Cordoba u.ä.) entwickelte das Christentum in der Romanik die drei Apsiden oder die Vierung, die in eine Kuppel übergeht. Diese Raumkörper-Symbolik war nicht zufällig entstanden, sondern wurde von den Architekten ganz bewusst als christliche Bedeutungsträger an den liturgisch zentralen Stellen eingebracht, denn auch der Würfel (Quadrat) und die Kugel (Kreis) sind vollkommene Körper, die eine visuelle Brücke zur Vollkommenheit und Endlosigkeit Gottes schlagen sollen. Vor deisem Hintergrund und der Entwicklung der soeben skizzierten abstrakten Formsprache, scheint mir Thomas Werks Synthese der Zeichen und seine Erweiterung durch das Quadrat absolut gelungen. Die Darstellung vermittelt Ausgewogenheit, Gleichheit und Ruhe - sie erscheinen wie solide Bausteine des Glaubens...

Auf den anderen Arbeiten können Sie entdecken, wie virtuos Thomas Werk mit seinen besonderen formal-ästhetischen Mitteln Schmerz auszudrücken versteht, wenn Sie sein Bild "Kruzifixus" betrachten: Es bündelt das Leid und die Verletzlichkeit Christi in den ineinander verschränkten breiten schwarzen Strichen. Steigerung durch Reduktion. Kein Kreuz ist sichtbar und doch spürt jeder die Last und die Qual des Kreuzes. In seiner Gott-Verlassenheit sieht es fast so aus, als würde sich Jesus zum Trost selbst mit seinen Armen umfassen, um an dieser Marter nicht völlig zu zerbrechen. Stilistisch anders sein "Jesustorso", der durch die offene Linienführung der Interpretation des Betrachters noch mehr Spielraum lässt, denn ganz automatisch vollendet er im Geiste den Umriß und den Raum und füllt die 'Leerstellen' mit seinen eigenen Vorstellungen. So werden Reduktion und Aussparung in Werks Arbeiten für den Betrachter zu einer Bereicherung und sind auch vom Künstler als Herausforderung des aktiven geistigen Mitgestaltens gedacht. In bewusster Selbstbeschränkung gelingen ihm auf diese Weise überaus nuancierte Darstellungen, die nachdrücklicher faszinieren können, als ausschweifende Fülle es vermag. Sie sehen, Thomas Werk erweist sich in seinen Arbeiten als subtiler Konstrukteur von Linie und Form. Seine unprätentiösen Arbeiten beeindrucken durch technische Virtuosität und die Fähigkeit mit den sparsam gewählten Gestaltungsprinzipien ein Höchstmaß an Spannung zu erzeugen. Seine Darstellungsweise erstaunt und regt zum Nachdenken - zum Neu-Denken an. Er nimmt sich die Freiheit alte Sehgewohnheiten der Bildenden Kunst in Frage zu stellen und für sich neue Wege zu beschreiten...

Dr. Sabine Maria Hannesen

aus: Rede zur Ausstellungseröffnung "Bergpredigt"
Evangelische Akademie Loccum,
1. September 2007

 

Liebe Gemeinde,heute ist der Buß- und Bettag.Er ist ein Tag der Selbstprüfung und der Umkehr.Und es ist ein Tag des Gebetes.Wie anders als im Gebet sollte auch unsere Umkehr geschehen?Nun geht an diesem Buß- und Bettag das Kunstprojekt „Hier und dort“ mit dem Berliner Künstler Thomas Werk in unserer Kirche zu Ende. Thomas Werk ist ein betender Künstler. Seine Arbeiten entstehen in der Auseinandersetzung mit Gott, im Gebet.Und einige der ausgestellten Skulpturen haben auch das Gebet unmittelbar zum Thema. Ihnen möchte ich mich in dieser Predigt widmen. Ich erhoffe mir davon für Sie und für mich Anregungen und Ermutigungen zum Gebet, so wie es der Apostel Paulus am Ende seines Philbriefes schreibt:„Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden.“ (Phil. 4,6)Sorgt euch um nichts, sondern bringt alle eure Angelegenheiten im Gebet vor Gott. Lasst es ihn wissen.So ist also das Gebet ein Gegenprogramm gegen das Sorgen.Freßt eure Probleme nicht in euch hinein , sondern betet.Klagt und jammert nicht, sondern bringt eure Ängste und Schmerzen vor Gott. Auch eure Schuld und eure Scham. Resigniert nicht, sondern fleht anhaltend.Und vor allem: reduziert nicht alles auf eure Probleme: betet Gott an und dankt für alles Gute.Wie wird dies sichtbar in den Arbeiten von Thomas Werk?1. Sehen wir zuerst auf die Skulptur Betende Hände.Sie gibt eine Haltung wieder:Zusammengelegte, aufeinander gelegte Hände.In der reduziertest denkbaren Form wird hier die körperliche Haltung eines Beters, die ja mehr als eine Haltung der Hände ist, wiedergegeben.Ich erhebe mich. Ich stehe da. Ich bin ganz da. Ich stehe vor Gott. Und ich sammle mich.Ich lege meine Hände zusammen. Ich handle jetzt nicht. Ich gebe mich in Gottes Hand.Im Aufeinanderlegen der Hände öffne ich mich und konzentriere mich zugleich. Ich grenze mich nach außen ab und schließe alles, was wirklich zu mir gehört in meine Gebetshaltung ein.Ich spüre mich selbst in meinen Handflächen. Ich bleibe aber nicht bei mir selbst.Die Haltung meiner Hände weist über mich hinaus. Meine Finger zeigen auf Gott.Mit all meinen Dingen, die in mir sind. Und ohne all die Dinge, die sonst ständig um mich herum sind.So beginnt ein Gebet.Mit einer Haltung.Und oft genügt bereits diese Haltung als Gebet. Und vieles, was ich sagen könnte, ist eher zu viel. Ich lasse es, ich bleibe in meiner Haltung. Ich bleibe bei mir selbst und werde still vor Gott.Später werde ich die Hände wieder öffnen und das tun, was mir im Gebet klar geworden ist. Es gibt unterschiedliche Gebetshaltungen. Sie signalisieren mir jeweils etwas anderes. Es lohnt, sie für sich zu erproben.Auch die, die in unserer ev. Tradition weniger üblich sind oder verloren gegangen sind, wie die eben genannte Haltung der Hände, oder das Bekreuzigen, das oder die geöffneten oder erhobenen Hände.Wichtig ist: Beten, das sind nicht in erster Linie Worte. Es ist eine Haltung.Zu dieser Haltung gehört aber auch:Ich stehe mit meinen Beinen fest auf dem Boden. Das breite Feld meiner Lebensthemen wird vom Gebet umfasst. Darüber bilden die betenden Hände ein Dach, sie stützen sich gegenseitig, damit mein Lebenshaus nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.Beten also mit Händen und Füßen, mit dem ganzen Körper.Beten ist eine Haltung der ganzen Person.Der Buß- und Bettag will uns in dieser Haltung bestärken.2. Die zweite Skulptur zum Thema Gebet hat mich besonders angesprochen. Sie trägt den Titel „Klage“ und zeigt die Beterin/den Beter vor Gott mit all seinen/ihren inneren Spannungen.Da ist Kraft, da ist Wut, da ist Zerrissenheit, da ist Verzweiflung, auch Zorn und Protest. Da sind Ellbogen und Fäuste, kyrie eleison.Schau dir das an Gott, so scheint die betende Figur zu sagen, was ich auszuhalten habe, was da in mir tobt, was mich schier zum Zerreißen bringt.Ich halte es dir entgegen, ich konfrontiere dich damit, mit dem, womit ich nicht fertig werde. Was doch nicht so sein darf und nicht so bleiben kann.Und doch ist da im Gebet eine Öffnung.Über meiner Gestalt mit allem, was auf ihr lastet und an ihr zerrt gibt es eine Öffnung zu Gott.In allen euren Dingenlasst eure Bitten in Gebet und Flehen vor Gott kund werden.Alle Eure Dinge dürfen vor Gott kund werden.Alle.Unzensiert. Ohne Beschönigung.Unaufgelöst. In ihrer Spannung.Auch die, die Ihr nicht in Worte fassen könnt.Die ihr aber als Spannung, als Unruhe, als Bedrückung, als Angst, als Zorn in euch spürt.Lasst sie ihm kund werden.Gebt ihnen Raum.Und schließt sie nicht ab vor eurem Gott.Lösen kann sich nur, was ich loslasse und nicht krampfhaft festhalte.Jede Lösung beginnt damit, dass sich in mir etwas löst.Ja noch mehr: Wenn das Ungelöste Raum haben darf.In der Klage.im Kyrie eleison.In der Bitte.Im anhaltenden Flehen.Im Ringen und Weinen,manchmal bis zur Erschöpfung.Lasst, lasst es zu. Lasst es da sein.Lasst es los. Lasst Gott es lösen.Auch diese Skulptur beschreibt eine Haltung.In welcher Haltung bringe ich meine Dinge vor Gott?

Am Buß- und Bettag stellt sich mir diese Frage besonders.3. Die dritte Skulptur, so finde ich, eröffnet einen ganz besonderen Blick auf das Gebet.Ganz in sich verschlungen ist sie. Auf und ab geht es da. Herüber und hinüber.Kaum zu verfolgen sind sie, die Linien, die Bewegungen, die Windungen.Die Gedankengänge und die inneren Prozesse, die dahin führen, dass sich am Ende ein Weg nach oben auftut.Ja, denke ich, so geht es mir oft beim Beten, so geht es mir, bis ich zum Beten überhaupt komme.Viel auf und ab,viel hin und her.Scheinbar keine Richtung.Im Gebet darf das alles sein.Und vor dem Beten auch.Wir wissen nicht, was wir beten sollen. Aber der Geist hilft unserer Schwachheit auf.Mag sein, dass nur der Geist Gottes das Muster in all dem erkennen kann, was da in mir vorgeht.Mag sein, dass für Gott das gerade ein klares Bild ergibt, was für mich nur ein Knäuel aus Gefühlen und Gedanken, Wünschen und Widerständen ist.Ich darf also im Gebet ruhig meine verschlungenen Wege gehen und meine Winkelzüge machen. Ich muss das Muster nicht erkennen, das sich darin verbirgt und unbewusst artikuliert.Ich lasse es. Ich lasse es einfach geschehen. Denn Gott schreibt auf krummen Linien gerade. Und manchmal erfahre ich das, was Thomas Werk in seiner Skulptur ausdrückt:Am Ende finde ich aus dem Knäuel heraus und es gibt wieder eine klare Linie.Eine Linie, die aus all meinen Verstrickungen hin zu Gott weist.Und manchmal geschieht sogar das, was einer Betrachterin dieser Skulptur in unserer Kirche geschehen ist: Sie hat im Gewirr der Linien auf einmal eine betende Gestalt erkannt, kniend, sich mit den Händen an einem Stab festhaltend. Entscheidend ist eben nicht was ich bete, sondern dass ich bete. Dass ich ich selber werde, weil ich mit meinem Wirrwarr vor Gott komme.Auch das ist ja eine Aussage des Buß- und Bettages.4. Als viertes habe ich eine Skulptur ausgewählt, die nicht eigentlich zwingend dem Themenkreis Gebet zuzuordnen ist. Thomas Werk nennt sie „Heiliger Geist“!Drei Kreise, ineinander verschmolzen, ein Bild größter Vollkommenheit.Gott alles in Allem.Man könnte auch eine Darstellung der Dreieinigkeit darin sehen.Thomas Werk begnügt sich mit dem Hinweis: Hl. Geist.Was bedeutet dies für unser Beten?Dass es im Gebet eine Phase gibt, in der wir uns von uns und unseren Befindlichkeiten weg ganz Gott zuwenden.Ihn in seiner Vollkommenheit, seiner einfachen Klarheit und alles umfassenden Gegenwart wahrnehmen und anbeten.In dieser Phase des Betens werden wir frei von uns selbst und offen für ein Größeres, das sich uns nur in Andeutungen und Bildern erschließt, das aber doch unser ganzes Leben und unsere Welt und alles umfasst.In dem all unsere Bewegung zur Ruhe findet und all unsere Ruhe in einen weiten Raum hineingeöffnet wird.„Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.Gott ist in der Mitten. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge.Geistes-Gegenwart. Stille. Lobgesang. Dankbarkeit.Dahin will uns auch der Buß- u. Bettag führen.Darin kommt unser Geist zur Erfüllung.Weit über unser Klagen und Bitten, Suchen und Finden hinaus.Gott ist da. Und der Mensch betet ihn an.Diese Form des Gebets braucht keine Worte.Bestenfalls Töne.Am Ende Einklang.So viel nur als Andeutung.5. Die 5. Skulptur holt uns wieder auf den Boden zurück.„Amen“, so lautet ihr Titel.Amen – wieso da drei Pflöcke, 3 Stelen?Ich denke mir das so:Das Amen rammt Pfosten ein.Es beendet etwas.Es bekräftigt etwas.Und es weiß, dass jetzt etwas weitergeht.Amen.Unser Gebet braucht ein klares Ende.Es hat seine Zeit.Dann ist es vorbei und etwas anderes ist dran.Beten und Tun des Gerechten, so sagt es Bonhoeffer.Das Amen setzt einen Punkt.Und bringt uns an den Punkt,an dem das Leben weitergeht.Das Amen ist aber auch eine Bekräftigung, ein Ja. So übersetzt Martin Luther das Amen.Ja, das ist gewisslich wahr.Ja, das was ich gesagt habe,das was ich gespürt habe,das was ich an innerer Öffnung, an göttlichem Horizont und göttlicher Zuwendung erlebt habe, das ist gewisslich wahr. Hebr. heißt  Aman: Ja, so ist das. Ich glaube es und stehe dazu.Und es ist wahr und gewiss, dass Gott mich gehört und angenommen hat.Es ist wahr und keine Illusion, dass er um meine Dinge weiß und in allem mein Bestes will.Das ist wahr und dazu bekenne ich mich.Die dritte Säule drückt für mich aus, dass es jetzt weitergeht. Punkt. Punkt.Punkt.Mein Leben geht weiter.Aber auch Gottes Handeln mit mir geht weiter. Ich darf gespannt sein, was nun geschieht.Gerade am Buß- und Bettag ist klar:das heißt nicht, dass alles so weitergeht wie vorher.Es ist wahr, dass Gott Neues mit mir vorhat.Wie gesagt: Ich darf gespannt sein.Liebe Gemeinde,5 Skulpturen haben wir gesehen,5 Skulpturen über das Gebet.Ich will nicht behaupten, dass meine Gedanken dazu genau das wiedergaben, was Thomas Werk mit seinen Werken ausdrücken wollte oder was er in ihrem Entstehungsprozess erlebt und vor Gott gebracht hat.Für mich ist entscheidend:Heute ist Buß- u. Bettag.Und wir brauchen die Ermutigung zum Beten.Dass der Künstler sie uns in so elementarer Gestalt gegeben hat, dafür danke ich ihm.Und ich danke denen, die sich in den letzten Wochen gemüht haben, seine Zeichen zu entschlüsseln und sie als das zu nehmen, was sie sein wollen:Fingerzeige von hier nach dort.Am Deutlichsten vielleicht im Bild von der Himmelsleiter im Begegnungsraum. Aber das ist ein anderes Thema.Hören wir zum Abschluss noch einmal den Predigttext:„Sorgt euch um nichts,sondern in allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden.“ 

Dekan Dr. Günter Breitenbach
Würzburg Buß- u. Bettag 2009 | Predigt zum Ende der Ausstellung „Hier und dort“ von Thomas Werk

 


Über Bilder sprechen, von Bildern sprechen ist – sofern nicht wissenschaftlich legitimiert – immer ein Wagnis. Besonders in Anwesenheit des Künstlers, in Anwesenheit von Thomas Werk, den ich sehr herzlich begrüße. Bevor ich dieses Wagnis nun eingehe, möchte ich Sie mit einigen biografischen Angaben vertraut machen. Thomas Werk wurde 1971 in Berlin geboren,  hat dort Kunst, Germanistik und Philosophie an der Humboldt Universität studiert, sich mit literarischen Werken, Gedichten und Prosatexten, mit Zeichnungen, mit Natur- und Landschaftsstudien schon früh kreativ zu Wort gemeldet und nachfolgend durch eine Reihe bemerkenswerter Ausstellungen seinen künstlerischen Rang dokumentiert. Es ist mir daher eine besondere Freude, mich mit Ihnen am Beginn dieser neuen Ausstellung auf den Weg zu machen, den Zeichen des Künstlers mit den Augen zu folgen und sie in Worte zu übertragen. In Wort-Ergänzungen den Eindrücken der Bilder Ausdruck zu verleihen, die doch ihre eigene Sprache sprechen, eine Sprache, die in Gesprochenes zu übersetzen selbst einem Künstler wie Paul Klee  Schwierigkeiten bereitet hat. Ich zitiere aus seinem Vortrag,  „Über die moderne Kunst“: „Wenn ich in der Nähe meiner Arbeiten, die eigentlich ihre selbständige Sprache reden sollten, … das Wort ergreife, so wird mir zunächst ein wenig bang, … ob ich es auch in der rechten Art tun werde. Denn so sehr ich mich als Maler im Besitze meiner Mittel fühle, andere dahin in Bewegung zu setzen, wohin es mich selber treibt, mit derselben Sicherheit durch das Wort solche Wege zu weisen, das fühle ich mir nicht gegeben. Aber ich beruhige mich damit, dass meine Rede nicht als solche isoliert sich an Sie wendet, sondern dass sie nur ergänzend den von meinen Bildern empfangenen Eindrücken das vielleicht mangelnde bestimmte Gepräge zu geben hat.“
So bitte ich Sie also, meine Ausführungen in eben diesem Sinne als vorweggenommene Ergänzungen Ihrer, von den ausgestellten Bilder und Objekten in freier Begegnung noch zu empfangenden Eindrücke, zu verstehen. Eindrücke, die dadurch entstehen, dass das einzelne Kunstwerk, solch „ein Gebilde von höherer Gliederung“, wie Paul Klee es formuliert, mit einiger Phantasie zu bekannten Gebilden der Natur in ein Vergleichsverhältnis gesetzt wird. Erst aus diesem Vergleichsverhältnis heraus erschließen sich sowohl assoziativ als auch analytisch die Mitteilungen, die Aussagen der Kunstwerke. Thomas Werk allerdings geht einen Schritt weiter. Er begnügt sich nicht mit der reinen Präsentation seiner Arbeiten, sondern er stellt sie unter ein Gesamtthema. „Zeichen und Wege“ ist der Titel dieser Ausstellung, ist der Titel einer Gesamtkomposition, sozusagen eines Gesamtkunstwerks, das in den Themen der Bildunterschriften sich entfaltet. Wobei Bild und Wort eng aufeinander bezogen sind. Das Bild-Zeichen, das Bildwort korrespondiert mit dem Wortzeichen, dem Begriff und führt den Prozess des Sehens, des assoziativen Verstehens weiter zu einem Begreifen, das sich der Sprache des abbildenden Faktischen entzieht. Innere Bilder entstehen zu den vom Künstler gewählten Themen, zu den Themen: Vergänglichkeit, Liebe und Tod -  zu Themen aus der Bibel, aus dem Neuen Testament – zu Themen der menschlichen Existenz in dieser Welt. Die Arbeiten tragen Titel wie: „Wer bin ich, der oder jener? „Der Finsternis undurchdringliche Masse“ – „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – „Vom Sinn der Gleichnisse“ – „Jesus Christus“ – „Petrus“ –„Jakobus“ oder „Judas“ – „Kelch“  oder „Gotteshaus“. Es sind Titel, die Erfahrungen erinnern, die Vorstellungen, die religiöses Wissen, Gehörtes und Gelesenes im zeitlichen Kontinuum der Sprache festhalten. Doch diese Titel drängen sich nicht auf, im Gegenteil, miniaturhaft klein ordnen sie sich ein in die Bilder, ordnen sie sich unter, lenken den Blick auf die mehrdimensionale Gleichzeitigkeit des Dargestellten. Sprache stößt an, was das Kunstwerk sichtbar macht. Wechselseitig durchdringen sich Wort und Bild. Als Mittel der Darstellung verwendet der Künstler zum einen nur wenige Grundlinien. Kohle und Tusche setzt er als Materialien ein, also Werkstoffe der Schönschrift, Werkstoffe fernöstlicher Kalligraphie, die Wort- und Bildzeichen auf das Engste auf dem Papier miteinander verknüpft. Auch für Thomas Werk besitzt das Material Papier eine eigene Qualität. Das Papier, zunächst einmal Bildträger, wird selbst zum Bildelement, indem es der Künstler auf die Leinwand als Untergrund montiert. Ein Verfahren, in dem sich Schauen und Lesen als Weisen der Bilderfassung einander annähern. Als Beispiel, für seine Art zu arbeiten, möchte ich Ihnen die Kohlezeichnung mit dem Titel „ Jesus Christus“ vorstellen. Zu sehen sind zwei Linien, die die zart getönte Bildfläche überziehen. Die eine, eine leicht geknickte Senkrechte wird umwunden von einer zweiten, einer ausholenden Schlangenlinie. Im oberen Bildteil überschneidet dann die senkrechte Linie eine Kreisform, deren unterer Teil sich im verflüchtigenden Strich mit dem Bildgrund verbindet. Jesus Christus –  der Stamm des Kreuzes eine Senkrechte, die den ungeschlossenen Kreis, den Kopf des Menschen Jesu durchbohrt. Der an das Kreuz Genagelte, umwunden von der Spirale der Gewalt.
Jesus Christus, der den Tod am Kreuz gestorben ist. Wenige Linien genügen, um in das Zentrum des christlichen Glaubens vorzudringen. Frei von erzählerischen und historisierenden Fixierungen ereignet sich der Kreuzestod.
Der lichte monochrome Bildgrund erinnert an den enträumlichenden Goldgrund mittelalterlicher Buchmalerei, Göttliches vergegenwärtigend. Und die weit geschwungene, das Bildrechteck von oben bis unten ausfüllende Spirallinie könnte auch in ihrer Bewegtheit das Wehen eines Lendentuches assoziieren, erinnern an die Kreuzigungsbilder eines Lucas Cranach, der solchermaßen die Gegenwart des Heiligen Geistes vor Augen führt. Von ganz anderer Art sind die Werke, die die Namen der Jünger Jesu im Titel tragen. Angeordnet in einer Reihe folgen die 12 ihrem Herrn. Thomas Werk portraitiert jeden Einzelnen auf seine für ihn typische Weise. Geformt aus geometrischen Grundformen, aus Balken, Blöcken und Kreisen, aus mit kräftigem Pinselstrich aufgetragenen Farbflächen in Rostrot und Schwarz, scharf umrissen oder an den Rändern ausfransend, Spritzspuren auf dem Bildgrund hinterlassend, zeigen die Bilder, was die Gestalten erfüllt. Sie erscheinen als Träger der Botschaft des Evangeliums, von geballter Energie, doch in der Haltung von unterschiedlicher Glaubensfestigkeit. In Petrus lodert rot das Feuer des Evangeliums, hineinverwoben in die dunklen, schwarzen Seiten seiner menschlichen Existenz und doch gehalten durch den die Gestalt bekrönenden Halbkreis. Andreas, der Ältere,  ein fest ruhender Block, der Kreis im Inneren ein Zeichen von Gelassenheit, ausgerüstet mit dem Stab der Pilgerschaft, Verkünder der Botschaft, die rechts oben wie ein Feuer aus der Gestalt drängt. Jede Gestalt spricht für sich, öffnet sich dem Betrachter, der Betrachterin im Kontext des je eigenen biblischen Verständnisses. „Konfessionelle Inhalte“ nennt Thomas Werk die Themen seiner Bilder und Objekte. Diese selbst zu ergründen, überlasse ich nun Ihnen. Vielleicht werden sie zu ganz anderen Einsichten gelangen als die von mir skizzierten. Werden die Dimensionen der bildnerischen Elementarmittel wie Linien, geometrische Formen, Farben und Materialien in anderer Weise als Inhalte deuten und viel näher den Intentionen des Künstlers kommen. Über Bilder zu sprechen ist immer ein Wagnis, bleibt immer ein Wagnis. Ich habe es mit Vergnügen getan, beeindruckt von der außerordentlichen künstlerischen Aussagekraft der Bilder, Skulpturen und großformatigen Kompositionen, von ihrem religiösem Gehalt  ebenso wie von der Spannung zwischen Zartheit und Robustheit in den verwendeten Materialien und dem auf das Wesentliche reduzierten Formenkanon.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Monika Lengelsen 
Düsseldorf | 26.November | 2010 | Rede zur Ausstellungseröffnung "Zeichen und Wege"

 

Zwölf Apostel – Gesandte des Herrn

Zwölf Bilder, die den Namen der Apostel tragen. Nichts erinnert an traditionelle Darstellungen der Apostelfürsten. Und doch bringen sie Wesentliches der zwölf Erstberufenen zum Ausdruck. Ein Zugang über Pinselstriche, Farben und Formen. Ein Zugang zur eigenen Berufung?

Erster Eindruck
Zwölf Bilder sind zu einer Werkgruppe zusammengestellt. Sie sind geprägt durch die meist mittige Darstellung einer einzelnen Figur. Mit ein paar Pinselstrichen und wenigen Farben hat Thomas Werk eindrucksvolle Formen geschaffen, bei denen jede Figur anders gestaltet ist, jede Figur individuelle Züge aufweist. Und doch vereinen sie die gleichen Farben, die ähnlichen Elemente, der Malstil und nicht zuletzt ihre singuläre Darstellung auf dem neutralen Hintergrund.
Die vorliegende Präsentation in Blockform bietet den Vorteil, die zwölf Einzelbilder mit einem Blick zu erfassen und zugleich mühelos von einem Bild zum anderen wandern zu können. Zugleich lassen sich  so die Inhalte besser miteinander vergleichen. Angesichts der Zusammenschau muss allerdings vergegenwärtigt werden, dass jede Arbeit respektable 60 x 80 cm (auf Leinwand aufgezogen sogar 115 x 135 cm) misst. Normalerweise begegnet der Betrachter den zwölf Bildern in einer raumfüllenden Präsentation, bei denen die Arbeiten auf Augenhöhe gezeigt und nebeneinander geschaut werden.

Annäherung
Alle Figuren bestehen im Wesentlichen aus einem länglichen Körper und einem Kreisrund. Damit weisen sie Ähnlichkeiten mit Menschen auf, sind ihnen aber durch das Fehlen von weiteren Merkmalen genauso fremd. Dies lässt sich gut am Kreisrund beobachten. Durch seine Positionierung im oberen Bereich der Figuren kann er als Kopf gesehen und interpretiert werden, obwohl keine Gesichtsmerkmale wie Augen, Nase, Mund und Ohren zu sehen sind.
Aber genauso geht es einem mit den Körpern. Sie haben die längliche Form von Menschen, aber Außenform wie Innenleben erzählen eine ganz andere Geschichte als die einer Haltung oder einer Bekleidung. Hinzu kommt das ungewohnte Wechselspiel der Farben Dunkelbraun und Schwarz mit Dunkelrot, Sienagelb und Grau.
Irritiert sucht das Auge nach bekannten Elementen. Doch mehr als vereinzelte Armformen und kürzere oder längere Geraden können nicht entdeckt werden. Verzweiflung mag sich vielleicht breit machen angesichts der verwendeten Bildsprache, Hilflosigkeit gegenüber diesen Darstellungen, die der Künstler offensichtlich mit den zwölf von Jesus auserwählten Aposteln verbindet.

Der Künstler Thomas Werk
Thomas Werk ist einer jener Künstler, deren Arbeiten aus seinem christlichen Glauben heraus entstehen und dadurch auch meistens in einem Zusammenhang mit dem christlichen Glauben stehen. Seine Malsprache konzentriert sich auf wenige Pinselstriche und Farben, seine Motive auf symbolische Zeichen und malerische Gesten wie Farbspritzer. Der Farbauftrag lässt seinen virtuosen Umgang mit  Pinsel und Farbemenge nachvollziehen. In den Farbspuren atmet noch die konzentrierte Spontaneität, mit der er seine Motive zu Papier bringt und mit Leben erfüllt. Thomas Werk schöpft dabei die ganze Einsatzpalette seines Werkzeugs aus, wenn er seinen Farbauftrag von deckenden Strukturen bis zu auslaufenden Farbspuren nuanciert, wenn er die Konturen mal undeutlich auslaufend, mal scharf begrenzend zieht. Seine Arbeiten leben auch von der Transparenz, mit welcher der zeitlose Hintergrund die Farbzwischenräume so durchdringt, dass er als lichter Schein oder sogar als Glanz den Farbauftrag überhöht. So schafft Thomas Werk mit wenigen Mitteln ein äußerst spannungsvolles Geschehen, das zu immer wieder neuem Schauen einlädt.
Doch die reduzierte Ausdrucksweise mag auch für viele ungewohnt sein und zur Erschießung eine ungewöhnliche Anstrengung abverlangen. Dabei ist ein genaues Betrachten der Farben und ihrer Spuren genauso notwendig wie das Befragen ihrer möglichen Symbolik und Bedeutung. Nicht unwesentlich für die Erschließung seiner Arbeiten ist, dass Thomas Werk durchwegs auf beigem, grau gefasertem Naturpapier arbeitet, das er später auf eine ähnlich farbige Leinwand aufzieht. Dieser neutrale Hintergrund bildet bei ihm eine Konstante und bleibt meistens unbemalt, so dass uns seine Motive stets in einem zeitlosen Umfeld begegnen. Die durch den Farbauftrag materiell und farblich hervorgehobenen Pinselstriche werden dadurch wie Schriftzeichen wahrgenommen.

Kopfsymbol
Das markanteste Zeichen im Oeuvre von Thomas Werk ist wohl der Kreisring. Durch Analogie wird eine Verbindung zur ovalen Form des menschlichen Kopfes geschaffen. Mit dem Kreis hat der Künstler die dargestellten Menschen und erst recht die Apostel in einen direkten Bezug zu Gott gestellt. Denn der Kreis ist von alters her das Symbol für das Unendliche, Ewige, in seiner perfekten Rundung auch für die Vollkommenheit. Der Kreis wird auch als Sinnbild der sich immer erneuernden Schöpfung gesehen, ist er doch nicht etwas unbeweglich in sich Ruhendes, sondern dynamisches Kreisen um eine Mitte, voll lebendiger und lebenszeugender Bewegung (vgl. Forstner/ Becker 1991, 191). Der Kreis steht somit primär für den vollkommenen und ewigen Gott, der selbst das Leben ist und lebenszeugend im Tages- und Jahreszyklus tätig ist. Doch wie der Kreisring eine freie Mitte umgibt, steht er aus religiöser Sicht auch für den Mensch in seiner Ganzheit, d.h. in seiner untrennbaren Einheit mit Gott. Umschließt nicht der mit Farbe gemalte Kreis mit seiner Materie eine immaterielle Mitte? Ist der Kreis damit nicht auch ein wunderbares Symbol für den Menschen, in dessen Mitte der unsichtbare Gott wohnt? Zum einen durch das Leben, das Gott im Schöpfungsakt in den Menschen eingesenkt hat, zum anderen auch durch gegenseitige Bejahung in der Taufe. Auf die Apostel bezogen wirkt diese Symbolik umso stärker, als sie von Gottes Sohn persönlich Angesprochene und Unterwiesene sind. Dadurch haben sie Gott wie kaum jemand anders kennengelernt. So gesehen könnte das minimalistische Zeichen des Kreisringes bereits für die Darstellung der Apostel genügen. In der Art und Weise wie Thomas Werk die Kreise mit einem perfekten Pinselstrich gezogen hat und sie durch Farbe und Farbauftrag ebenso wie durch eine teils andersfarbige Doppelung (Petrus, Johannes, Bartholomäus) oder einen weißen Bereich im Kreis (Petrus, Jakobus d. A.) variiert, besitzen sie genug Individualität, um die Unterschiedlichkeit der Apostel anzudeuten. Wenn diese Annahme stimmt, werden hauptsächlich die gestalteten „Körper“ und die Positionierung der „Köpfe“ etwas über ihre Persönlichkeiten bzw. ihr Glaubensleben aussagen.

Farbsymbolik
In der vertieften Auseinandersetzung mit den im Körperbereich verwendeten Symbolen treten am Augenfälligsten die beiden Farben Braun und Dunkelrot in Erscheinung und miteinander in Dialog. Braun ist die Farbe des Erdbodens. Durch den Schöpfungsakt (Gen 2,7) wird sie auch die Farbe des Menschen. Im Gegensatz zum unendlichen Kreisring ist die Farbe Braun von irdischer  Endlichkeit und Vergänglichkeit gezeichnet. Ebenso kann die Fruchtbarkeit der dunkelbraunen Erde auf uns Menschen übertragen werden. Jesus brachte dies im Gleichnis von den Talenten und Begabungen auf den Punkt (Mt 25,14-30). Die in ganz unterschiedlicher Dichte auftretende braunrote Farbe lässt sich mit ganz verschiedenen Erfahrungen verbinden. Sie kann ebenso für tiefrotes Blut stehen wie für die mehr oder weniger starken Gefühle, die in diesen Männern für Jesus und seine Botschaft „brennen“. Vor allem Petrus und Thomas fallen durch große rote Bereiche auf. Ein Blick in die Bibel lässt die beiden Männer als temperamentvolle Menschen wahrnehmen, die zwischen tiefem Glauben an Jesus und nagenden Zweifeln hin- und hergerissen wurden (Petrus: Glaubensbekenntnis Mt 16,16-23; Verleugnung Mk 14,66-71 / Johannes: Engagement für Jesus Joh 11,16; Zweifel Joh 20,19-29). Die von Thomas Werk verwendete Farbe Falunrot ist zudem ein erdiges Rot, ein geerdetes Rot. Sie bezeugt Erdverbundenheit, Bodenständigkeit der Apostel. Was sie bewegt, was sie verkünden, ist nicht abgehoben, sondern steht in direktem Bezug zur Realität.

Petrus
Stellvertretend für alle Apostel sollen im Folgenden das erste und das letzte Bild dieser Werkreihe ausführlicher besprochen werden. Neben der genauen Betrachtung des Dargestellten sind die Aussagen in der Bibel und den Heiligenlegenden beim „Entziffern“ der Bilder hilfreich. Die Darstellung des Petrus fällt durch seinen symmetrischen Aufbau auf. Unter dem mittigen Kreisring stehen sich die ähnlich formulierten Körperhälften durch eine unterschiedliche Farbgebung gegenüber.  Sie wecken den Eindruck, miteinander zu ringen und könnten durchaus als „die zwei Seelen in der Brust“ des Petrus gedeutet werden, die miteinander kämpfen. Auf der dunklen Seite der schwache, ängstliche, verleugnende Petrus, auf der hellen roten Seite der Petrus, der von Gottes Geist erfüllt Jesus als Gottes Sohn bezeugen konnte und von diesem mit großer Verantwortung betraut wurde.
In Anlehnung an Jesu Zusage in Mt 16,19 kann die Figuration zudem als Schlüssel gesehen werden. Der kreisrunde Kopf wird dann als Griff, der symmetrisch gestaltete Körper als Schlüsselbart gelesen. Das Weiß im „Kopfring“ lässt diesen auch als Rettungsring wahrnehmen, was wiederum Assoziationen zum Gang über das Wasser (Mt 14,22-33) wecken kann, bei dem er von Jesus gerettet wurde.  Für den Künstler ist die weiße Stelle jedoch vor allem eine Referenz an den Himmel, an die Verklärung Jesu (Mt 17,1-8), bei der Petrus mit Jakobus und Johannes dabei war.
Die Position des Kopfes ist bei Petrus teilweise hinter dem Oberkörper eingesunken oder versteckt. Ob damit auf die Verleugnung Jesu (Mt 14,66-72) hingewiesen werden möchte? Wer leugnet, versucht sich doch zu verstecken! Andererseits wirken die seitlichen Farbspritzer bei Petrus (und Thomas) auffallend. Beim äußerst differenzierten Farbauftrag von Thomas Werk können die Farbspritzer als Symbole für die Auferstehung verstanden werden. Denn der Farbauftrag erfolgt anders als beim kontrollierten Pinselstrich durch Spritzen aus der Luft, losgelöst von jedem Kontakt mit dem Papier oder dem Boden. So vermögen diese spontan und zufällig entstandenen, andersartigen Farbspuren die gewaltige Kraft Gottes anzudeuten, die Jesu Tod in ewiges Leben verwandeln mochte.  Petrus gehörte nach Joh 20,1-10 zu den ersten Zeugen der Auferstehung Jesu von den Toten.

Judas Iskariot
Thomas Werk gibt den letzten Platz Judas Iskariot. Das mag erstaunen, denn bei Einzeldarstellungen der Apostel in Buchdrucken oder Chorgestühlen wird er nach der Erzählung in Apg 1,15-26 traditionell durch Matthias ersetzt. Der Künstler orientiert sich also an den Aposteln, die Jesus erwählt hat (Mt 10,1-4). Die Darstellung von Judas ist karg und farblos. Die rote Farbe findet sich nur in den drei Kreiszeichen, welche die 30 Silberlinge (Mt 26,15) versinnbildlichen. Die Gestalt des Judas erhebt sich wie ein Monolith, der im Fall begriffen ist. Der schwarze Oberkörper ist im oberen Teil gespalten, was als Referenz am das in Apg 1,18 beschriebene Auseinanderbersten seines Körpers gelesen werden kann. Andererseits sieht es aus, als hätte er die Hände erhoben bzw. vor Verzweiflung über seine Tat über dem Kopf zusammen geschlagen. Die noch weiter als bei Petrus eingesunkene Kopfform vermag also seine Reue anzudeuten, die aber die Hohenpriester und die Ältesten nicht mehr zur Umkehr bewegen vermochte. Die schwebenden Kreisformen erinnern, wie er die Silberlinge von sich warf, seine lange, gestreckte Form, dass er sich erhängt hatte. Die braune, rechteckige Basis seines Körpers kann wiederum als Verweis auf den Töpferacker verstanden werden, den die Hohenpriester mit diesem Geld erkauft hatten (Mt 27,3-10). Seine Handlung gibt uns heute noch Fragen auf. Jemand hat ihn deshalb zum Patron der Überforderten ernannt (Die Presse, 26.2.2011).

Anstöße zur Selbstreflexion
Zwölf Menschenbilder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwölf Bilder von Menschen, welche von Jesus berufen worden sind, die Botschaft vom Reich Gottes zu den Menschen zu tragen. Zwölf Portraits, wie diese Männer ihre Berufung als Glaubenszeugen ganz unterschiedlich gelebt haben. In ihnen kommen Berufung und Auftrag durch IHN zur Sprache. In ihren Darstellungen werden aber auch ihre menschlichen Stärken und Schwächen, ihre Begeisterung und Zweifel, ihre Glaubenswege und -tode deutlich. Damit können sie Spiegelbilder und Anstoß zur Reflexion über meine Gottesbeziehung und meinen Auftrag in seiner Kirche sein. In welchem Apostel-Portrait finde ich mich mit meinen Erfahrungen und meiner Lebenssituation am ehesten wieder?  Was spricht mich in den Darstellungen besonders an? Was wecken sie für Gefühle? Was brennt in mir und motiviert mich so stark, dass ich durch alle dunklen, bewegten, vielleicht auch widerständigen Zeiten hindurch zu Ihm stehe und sein Wort verkünde?
Die Aposteldarstellungen sind in einer modernen Bildsprache. Dadurch suggerieren sie eine Aktualität der Personen, stellen aber auch Verständnisfragen. Für viele Zeitgenossen ist auch die biblische Botschaft oft unverständlich, da ungehört oder gar unerhört. Die Bilder verdeutlichen durch die Kunst, wie sehr die biblische Botschaft Interpreten braucht. Menschen, die sich intensiv mit dem Wort Gottes auseinandergesetzt haben und durch dieses Leben mit ihm geprägt Zeugen Seiner lebendigen Gegenwart werden, weil sie Sein Wort mutig und furchtlos in die jeweilige Zeit und Situation hineinsprechen und -übersetzen.

Patrik Scherrer
Katechetische Blaetter | Heft 1 | 2013 | S.48 -53 | Kösel Verlag München

 

Stern von Bethlehem

Erwartungen
In Kenntnis des Titels ist der Betrachter in seinen Erwartungen wahrscheinlich zuerst irritiert. Einen Stern sieht der Künstler in dieser Arbeit? Mit Sternen verbinden wir normalerweise Leichtigkeit, Leuchtkraft und Strahlen. Von all dem ist hier wenig zu erkennen. Diese Sternskulptur schwebt nicht, leuchtet nicht im Ganzen und die vorspringenden Vierkantblöcke entsprechen überhaupt nicht unseren Vorstellungen von Strahlen. Die Skulptur enttäuscht unsere Erwartungen und stellt vielmehr Fragen: Wie kann diese Arbeit einen Stern darstellen, erst recht den Stern von Bethlehem, der die drei Weisen zum Geburtsort von Jesus Christus geführt haben soll?
Die Stahlkonstruktion gibt sich nicht nur von ihrem Material her schwer, sondern auch von ihrem Inhalt. Aber vielleicht ist gerade das ein Zugang: Es könnte sein, dass der Künstler eine Skulptur schaffen wollte, bei der durch das Gewicht wie durch den komplexen Inhalt die große - schwere - Bedeutung dieses außerordentlichen Sterns zum Ausdruck kommt. Vielleicht ist es des Künstlers Absicht, dem Betrachter den Zugang nicht zu einfach zu machen. Vor gut zweitausend Jahren haben auch nur die drei Weisen die Botschaft des Sterns zu deuten vermocht und sind ihm gefolgt. Die Erwartungen im Volk Israel sahen ganz anders aus. In diesem Punkt wird unsere Skulptur dem Stern von Bethlehem ähnlich. Sie ist ebenso wie das Zeichen am Himmel schwer verständlich und erwartet eine Deutung.

Göttliche Fülle
Mit der Plastik wird in radikal einfacher, geometrischer Form versucht, dem Geheimnis von Weihnachten Ausdruck zu verleihen. Es geht um die Menschwerdung Gottes, um die einmalige Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus. In ihm berühren sich Himmel und Erde, das Unendliche mit dem Endlichen. Der von allen Seiten durchdrungene Kreis fällt auf. Er verbindet, hält zusammen, bündelt. Geballte Kraft ist in ihm zu spüren. In seiner Geschlossenheit ohne Anfang und Ende ist er ein Symbol für Gott. In der sonst leeren Mitte kreuzen oder vielmehr durchdringen sich drei Vierkanteisen. Geradezu mit Gewalt scheinen sie den Kreis zu queren und seine Mitte zu füllen und zu definieren. Technisch ist die dreifache Verdichtung des Zentrums durch die vom Breitkantigen über das Quadratische zum Hochkantigen gehende Veränderung der Balken entstanden. Symbolisch gesehen bilden die beiden Stehenden ein X und verweisen auf den ersten Buchstaben des griechischen Hoheitstitels von Jesus: "Christos" - "Gesalbter" (hebräisch "Messias") . Der horizontale Balken erinnert in seiner massigen Art an das Kreuz und somit an den Tod von Jesus. Die Strahlen ergeben sich insofern erst nach der Durchdringung dieses Kreiselements, nach dem erduldeten Leid. Sie künden zum einen eine Herrlichkeit, welche von Gott her bedingt ist, zum anderen die Erniedrigung und Begrenzung durch menschliche Gewalt.

Erwartende Leere
Der Sockel, auf dem der wuchtige Stern ruht, gleicht in der Gesamtform einem einfachen Haus. Eine feste, durchgehende Basis, kurze Seitenwände, die sich schon bald zu einer Dachform neigen, umschreiben einen fast dreieckigen Freiraum. Offenheit strahlt dieses Haus aus, gleichzeitig Geborgenheit. Alles scheint für die Ankunft vorbereitet: in der Waagrechten die Krippe, in den sich zuneigenden Balken, die sich in der Mitte des Kreises treffen, symbolisch Maria und Josef, die sich erwartend einander zuneigen. Auf dieses Haus hat sich Gott sichtbar in Sternform niedergelassen, um zusammen mit Maria und Josef der noch unsichtbaren Wirklichkeit in ihrer Mitte einen geschützten Raum zu geben, denn sie erwarten in dieser Nacht die Geburt des göttlichen Lichts. Dieser Stern über Bethlehem hält sich mit seinem Licht zurück. Aber spiegelt sich in ihm nicht schon das Licht einer anderen Lichtquelle, welche bereits die Nacht erleuchtet?

Erfüllung
Nach den bisherigen Betrachtungen bringt die Stahlplastik von Thomas Werk mehr zur Sprache als erwartet wurde. Die einfachen Elemente lassen Altbekanntes in neuen Zusammenhängen sehen. Ganz im Materiellen verwurzelt, bringen sie das Metaphysische zum Ausdruck, das Unsichtbare und doch Wesentliche, welches jene Heilige Nacht charakterisiert. Dennoch wären die bisherigen Erkenntnisse unvollständig, wenn sie den Stern nur aus der Sicht des Arbeitstitels ergründen würden. Denn die ganze Plastik kann auch als stehende Gestalt gesehen werden, bei der die Enden des horizontalen Balkens ihre ausgebreiteten Arme bilden. Die starke Vereinfachung lässt wahrscheinlich mehr als die beiden hier erwähnten Betrachtungsweisen zu. Durch die massive, kantige Bauweise erscheint das Gebilde einerseits breitbeinig und sperrig wie ein Widerstandskämpfer mit einem stark bewehrten Bauchbereich. Andererseits können die beiden Senkrechten auch als zwei Gestalten gesehen werden, die sich, nach hinten geneigt, in der Mitte umarmen und halten, mit den "Köpfen" über dem Kreis einander anschauend. Der waagrechte Balken wird bei dieser Sichtweise zu einer Last, der die beiden in ihrem gemeinsamen Lebensbereich durchdringt. Miteinander vermögen sie sein Gewicht zu stemmen und auszuhalten, unterstützt durch die im Kreis angedeutete Kraft.
Damit könnte dieser Stern darauf hinweisen, dass der Stern von Bethlehem auch Stern über meinem Haus, über unserem Leben ist. Sein Dasein würde dann nicht nur die Ankunft des göttlichen Kindes verkünden, sondern die beschützende und stärkende Gegenwart Gottes - von der Wiege über die Hochzeiten des Lebens bis zur Bahre ? immer in der Mitte des Lebens. Überall dort, wohin in der Begegnung der Liebe die Fülle des Lebens getragen wird.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 4/2007 der Zeitschrift "das münster", Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Patrik Scherrer; Stern von Bethlehem; 5.01.2008

 

Drei geometrische Formen sind in rotbrauner (blutroter) Farbe auf das Blatt gemalt worden. Alle drei Formen haben in etwa die gleiche Größe und scheinen mit dem gleichen breiten Pinsel in je einem Arbeitsgang sorgfältig aufgetragen zu sein. Zuerst das Viereck oder Quadrat, dann das gleichschenklige Dreieck, zuletzt - und dadurch für den Betrachter zuvorderst - der Kreis. Zusammen ergeben sie eine neue Formierung, erhalten sie eine zusätzliche Ausdruckskraft. Jede der drei Formen besitzt mit der umschlossenen Innenfläche ein ausgeprägtes eigenes Zentrum. Dieses bildet gleichzeitig einen tragfähigen Sitz für einen Teil der anderen Form, seien es die unteren Ecken des Dreiecks, die durch die Zentren des Quadrates und des Kreises gehalten werden, sei es der Zwischenraum derselben im Dreieck. Während Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander angeordnet sind, ist das Dreieck als Zwischenform von links nach rechts wie von hinten nach vorne verbindend in sie eingeordnet.
Jede der drei Formen ist eine geometrische Grundform. Einfacher geht es nicht. Sie lassen sich nicht noch mehr reduzieren. Unverwechselbare Gestalt. Symbolhaft. Eigenständig. Und doch sind sie zueinander und miteinander in Beziehung. Um Gemeinschaft zu werden, lassen sie nicht nur Nähe zu, sondern auch Überlagerungen und gestaltete Einheit. Können so einfache geometrische Formen auf Gott hinweisen? Vermögen sie symbolisch von einem Gegenüber zu sprechen, das sich uns in dreigestaltiger Wesensart offenbart und uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist vermittelt worden ist? Können die abstrakten Grundformen den drei Vorstellungen von Gott zugeordnet werden?
Dadurch, dass Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander stehen, können sie als Symbole für den Vater und den Sohn gedeutet werden. Das verbindende Dreieck weist auf den Heiligen Geist hin, der dem Glaubensbekenntnis nach aus dem Vater und dem Sohn hervorgegangen ist. Ob nun Kreis oder Quadrat den Vater bzw. den Sohn symbolisieren, hängt von der Lesart ab: Zum einen könnte der Kreis den Sohn darstellen, weil er uns am nächsten dargestellt ist. Durch ihn haben wir im Heiligen Geist Zugang zum Vater, der die Welt erschaffen hat und deshalb mit einem Quadrat versinnbildlicht werden kann, denn die vier Seiten entsprechen den vier Himmelsrichtungen und weisen auf das Weltall hin. Es könnte aber genauso gut umgekehrt sein. Der Kreis könnte, weil er keinen Anfang und kein Ende hat, für den Vater stehen, der von Ewigkeit her lebt und mit dem Sohn und dem Heiligen Geist zusammen Leben schafft. Das Quadrat wäre dann Symbol für den Sohn, weil dieser in Jesus Christus irdisch geworden ist: ein Mensch dieser Welt. Alles sind Versuche, die Unbegreiflichkeit Gottes durch Symbole in unsere Vorstellungskraft zu holen.
Erstaunlich, wie gut die abstrakten Formen den an sich genauso abstrakten Gottesbegriff zum Leben bringen. Doch können die Formen auch irdisch-menschlich gelesen werden? Die meisten von uns verbinden doch den Kreis, die runde Form, gefühlsmäßig mit der Frau, während das Viereck eher dem Mann zugeteilt wird. Und, Mann und Frau stehen doch im Idealfall wie Quadrat und Kreis gleichberechtigt nebeneinander und zueinander! Könnte dann nicht, erhöht und die beiden "Irdischen" von Mitte zu Mitte verbindend, das Dreieck als Symbol für die göttliche Dreifaltigkeit gelesen werden, als transzendente, verbindende Ebene, aus der Liebe strömt: zueinander wie über die Zweiergemeinschaft hinaus - zu Gott oder dem Nächsten?

Patrik Scherrer

bildimpuls;
Dreieinigkeit; 9.6.2007

 

Ohne Hilfestellung kämen wir wahrscheinlich nicht auf den Gedanken, in dieser linearen Gestalt den barmherzigen Samariter zu sehen. Denn die Umrisse lassen auch andere Assoziationen wie an einen Fuß oder an einen Kopf zu. Das die Arbeit prägende braunschwarze Band scheint mit einer breiten Feder auf das Blatt aufgetragen: Ansätze sind erkennbar und die auslaufenden Farbschattierungen vermitteln den Eindruck, dass die Striche in einem Zug gemacht worden sind. Mit dem Band ist das Wichtigste ins Bild gebracht. Auf einer relativ schmalen Basis baut sich ein baumartiges Gebilde auf, das sich in der Mitte verdoppelt und in vielen Rundungen ausformt. An drei Stellen gehen je drei kurze Bänder strahlenartig von der Grundform weg.
Ist nun eine Person dargestellt oder sind es gar zwei Personen? Die beiden hufeisenförmigen Bögen oben links lassen an die Köpfe von zwei Personen denken. Die beiden Kreisformen in der Bildmitte dürfen wohl als Hände gesehen werden, wodurch wir zusammen mit den angedeuteten Beinen eine aufrechte, nach links schreitende Person zu erkennen vermögen, die eine weitere Person im Huckepack auf dem Rücken trägt.
In der Bibel heißt es, dass der Mann aus Samarien Mitleid mit dem von den Räubern zusammengeschlagenen Mann hatte. In seiner Barmherzigkeit hat er sein Reittier angehalten, ist abgestiegen und hat er sich zum Verletzten niedergebeugt, um seine Wunden mit Öl und Wein zu pflegen und dann zu verbinden. Danach hob er ihn auf sein Reittier und brachte ihn in eine Herberge, damit dort für ihn gesorgt werde (Lk 10,30-35).
Im Gegensatz dazu ist hier der Samariter selbst als Träger des Verletzten dargestellt. Zeigt er sich durch seine Barmherzigkeit nicht für den anderen verantwortlich und belastet er sich dadurch nicht genauso wie sein Reittier? Und es scheint, dass er sich mit drei weiteren Personen beladen hat, die seiner tragenden Hilfe bedürfen.
Überraschenderweise ist in der dargestellten Gestalt auch der gute Hirte erkennbar, der immer wieder den verlorenen Schafen nachgeht und diese, wenn sie müde oder verletzt sind, auf seinen Schultern nach Hause trägt (Lk 15,5). Deckungsgleich sind beide von der Grundhaltung des Sympathie, des Mitleidens (von griech. syn, pathein = mitleiden) geprägt. Was die Bibel als exemplarische Einzelfälle wiedergibt, ereignet sich immer wieder und bildet einen festen Bestandteil ihres Lebens. Nicht umsonst hat Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter als Vorbild für den Gesetzeslehrer genommen, damit dieser (und auch wir) genauso handle (Lk 10,36-37).
Weiter oben wurde gesagt, dass mit dem Band das Wesentliche ins Bild gebracht worden sei. Bildhaft bringt es zum Ausdruck, dass die Barmherzigkeit - das erbarmende, mitleidende Herz - die verbindende Kraft ist, die über alle erdenklichen Grenzen hinweg Menschen zu neuer Verbundenheit zusammenführt.

Patrik Scherrer

bildimpuls;
Der barmherzige Samariter; 15.7.2006

 

Schwarze, breite, gerade Pinselstriche prägen diese Zeichnung. Zwischen ihnen sind  - wie am Boden liegend - zwei Kreise angeordnet, gefüllt mit grauer Farbe und drei rötlich anmutenden Parallelen. Sie sind wie die zwei durch feinere Striche gebildeten Kreuzformen über ihnen strahlenförmig von grauen und roten Strichen umgeben. Inmitten der statisch anmutenden "Balken"-Konstruktion kann deshalb an diesen beiden Orten eine Aktion herausgelesen werden. Hier geschieht etwas, geht etwas von innen nach außen. Ob wir ohne die Angaben des Künstlers darauf gekommen wären, dass es sich hier um zwei Betende handelt? Die dicken geraden Pinselstriche lassen Kreuze sehen, vielleicht auch ein Haus, aber menschliche Gestalten?
Auf der Suche nach den Menschen können die beiden Kreisformen noch am ehesten mit Köpfen in Zusammenhang gebracht werden. Deuten die drei Striche Augen und Nase an? Allerdings sind sie nicht oben am Körper angeordnet, sondern unten. Gewohnte Perspektiven werden hier durcheinander gebracht - neue Ansichten werden eingefordert! Die beiden Gestalten könnten am Boden liegen, in den Staub der Erde gebeugt sein, wie sie der Psalmist beschreibt: "Meine Seele klebt am Boden. Durch dein Wort belebe mich!" (Ps 119,25). Die durch Kreuze geformten und gleichzeitig deformierten Körper lassen das Leid spüren, das sie niederdrückt, fesselt und bis zur Unkenntlichkeit entfremdet.
Hoffnungslos wäre diese Situation ohne die gekreuzten Hände. Ganz oben hat sie der Künstler platziert, dem Himmel zugewandt: Als Ausdruck der inneren Sammlung, der Sehnsucht des Herzens und der Bewegung des Geistes. In der Mitte bzw. aus der Mitte heraus brechen die Hände die belastende Situation auf, schaffen sie Freiraum. Dem Gebet wohnt Sprengkraft inne, wie die "Strahlen" um die "Hände" herum gedeutet werden könnten. Der Psalmist muss die Kraft des Gebetes erfahren haben, wenn er nach der ersten Bitte fortfährt: "Ich habe dir mein Geschick erzählt, und du erhörtest mich." (Ps 119,26).
Die Verdoppelung der Betenden scheint das Gebet zu verstärken. Die Zeichnung lässt offen, ob sich beide Personen in der gleichen Notlage befinden oder ob sich einer barmherzig einem Notleidenden zugewendet hat. Der Kopf der rechten Gestalt deutet jedoch auf das zweite hin. Er ist frei von umgebenden Balken und hat eine starke Zeichnung, während der Kopf der linken Gestalt schwächer gezeichnet ist und von Balken umgeben eingesperrter und Leidender erscheint.
Doch durch die Solidarität des einen ist eine Leidens- und Gebetsgemeinschaft entstanden, in der der Bedürftige einen zweifachen Beistand erhält: einerseits im Mitmenschen und andererseits durch das Gebet auch in Gott. Insofern spiegelt sich das Wort von Jesus in diesem Bild wieder: "Alles, was sich zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." (Mt 18,19-20) Das tröstet und schenkt Zuversicht.

Patrik Scherrer

bildimpuls;
2 Betende; 17.6.2006

 

In dieser vereinfachenden, oder besser gesagt, hochkonzentrierten Bildsprache sind christliche Inhalte von mythischen Vorstellungen befreit, die in längst vergangener Zeit selbst-verständlich waren, aber heute, da viele die Bibel als Tatsachenbericht verstehen wollen (oder sogar sollen), auf größte Verstehensschwierigkeiten stoßen. Ebenso befreiend wirkt die Abkehr von einer Vermenschlichung, die den Weg zu einer transzendenten Wirklichkeit blockieren kann und immer mehr oder weniger ein kindlicher Glaube bleibt. Wer sich mit diesen Chiffren beschäftigt, die ich als Wegweiser zum eigenen Erkunden empfinde, kann eine Spur finden zu einem "erwachsen gewordenen" Glauben, der an die Substanz führt, an das Wesentliche, aber ungestaltet läßt, was sich unserer Darstellungsmöglichkeit entzieht. Gerade diese Zurückhaltung empfinde ich als weiterführend...

Dr. Irmtraud Kulzer

Würzburg, 6.1.2008

 

Wer zum ersten Mal vor Arbeiten von Thomas Werk steht, kann etwas ratlos sein, muss sich vielleicht erst zurechtfinden. Er sieht Bilder in großer Einfachheit und Schlichtheit - manche bestehen nur aus ein paar Pinselstrichen in schwarzer Tusche, sie sind ohne Hintergrund, ohne Beiwerk, nur manche von einem bunten Liniengespinst überzogen. Auf vielen Bildern sehen wir Kreise, unterschiedlich groß, entweder geschlossen oder deutlich mit Anfang und Ende gezeichnet. Immer umschließen sie einen inneren Raum - die Fülle des Lebens. Manchmal stehen sie als Kreisfläche allein, häufig in Verbindung mit einem meist dunklen Balken, der diese Kombination als menschliche Gestalt ausweist, aber ohne jeden individuellen Hinweis, ob Frau oder Mann, ob alt oder jung, schön oder nicht schön, intelligent oder nicht, arm oder reich wirkend, wie gekleidet? Und trotzdem ist erstaunlich, wie der Künstler diese beiden Elemente allein durch ihre Zuordnung ganz differenzierte Gefühle ausstrahlen lassen kann: Zuwendung; Freude; Schmerz und Trauer, Hoffnung und Verzweiflung.

Er folgt damit dem Ruf des Meister Eckhard "Mensch, werde wesentlich", wenn er die Dinge und Inhalte, die er darstellt, gedanklich so reduziert und vereinfacht, dass er nur die Essenz, das eigentlich Wesentliche zeichnet. Darin liegt aber auch eine große Redlichkeit und respektvolle Haltung von Distanz, die sich deutlich bei seinem Herantasten an die Gestalt des Jesus von Nazareth und vor allem an Gott in seiner Dreiwesenheit zeigt. Diese Kunst der Reduzierung in der individuellen Bildsprache durchzieht alle seine Arbeiten. Sie macht es möglich, den durch Zeichen gedeuteten Raum über das diesseitig Erkennbare hinaus auszuweiten in transzendente Tiefen...

Unaufdringlich und undogmatisch, führt Thomas Werk mit seinen Mitteln - ein paar Tuschestrichen auf Papier - heutige Menschen an das Wesentliche der christlichen Botschaft heran. Er macht Altbekanntes neu bekannt mit zeitgenössischen Sichtweisen und Ausdrucksmitteln. Jede seiner Arbeiten ist daher - auf hohem künstlerischem Niveau - wegweisendes Zeichen zu christlichen Inhalten. So arbeitet er auch im Sinn von Josef Beuys, der keine Kunsterscheinung für sich alleine, sondern immer in einem bestimmten Kontext sehen wollte.

Geschmack, Gefallen, vordergründige Schönheit, sind Vokabeln, die zu Thomas Werks Arbeiten nicht passen, sondern Wahrheit und Klarheit sind das, was sie ausstrahlen, das, worauf es dem Künstler ankommt. Wahrheit aber hat die ihr eigene Schönheit und in diesem Sinne sind seine Kunstwerke schön, sehr schön.

Dr. Irmtraud Kulzer

Würzburg, Juni 2008