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ZEICHEN
und WEGE / Rede zur Ausstellungseröffnung / Kirche Am Hohenzollernplatz,
20. September 2008
"Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar" - dieser oft zitierte Satz gehört zu den zentralen und mit Recht berühmt gewordenen programmatischen Behauptungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert. Es war der Maler Paul Klee, der diesen lapidaren und zugleich wirkmächtigen Satz im Jahre 1918 niederschrieb, gleich zu Beginn seiner von ihm selbst so bezeichneten "Schöpferischen Konfession". "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar" - war im zeitlichen Kontext zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zündstoff. Denn gemeint war nichts weniger als die grundsätzliche und radikale Infragestellung des Abbildprinzips in der bildenden Kunst, das seit Jahrhunderten gültig war. Es ging damit um die Autonomie der künstlerischen Mittel und damit um die Befreiung des Geistigen aus den Zwängen des Gegenständlichen und Materiellen. Es war die Geburtsstunde der abstrakten Kunst. Das war vor ca 100 Jahren, aber es lohnt sich, diesen Satz von Paul Klee immer wieder zu zitieren, auch heute an diesem Ort. Die künstlerischen Arbeiten von Thomas Werk (1971 in Berlin geboren, im früheren Ostteil von Berlin), die ab heute in diesem wunderbaren Kirchenraum zu sehen sind, haben damit essentiell zu tun. Es ist der nüchterne und zugleich hohe Ton der Worte von Paul Klee: beide sind entscheidende Momente in den Arbeiten von Thomas Werk, das Lapidare und die Offenbarung, die Nüchternheit und der hohe Anspruch - das nicht Sichtbare sichtbar machen. Das bedeutet die Verweigerung jeglicher Illustration von sichtbarer, gegenständlicher Wirklichkeit. Alle Arbeiten, die hier zu sehen sind, haben eine christlich-religiöse Inspiration als Ausgangspunkt. Es sind insgesamt 33 Arbeiten, davon 7 Skulpturen aus Stahl, 1 Arbeit in wood und 25 gemalte Bilder. Die Skulpturen sind im vorderen Eingangsbereich aufgestellt, die Bilder hängen an den Wänden der Seitenschiffe. Alle Arbeiten haben vom Künstler Titel erhalten: Bergpredigt, Leidenskelch, Vergebung, Gebet, Kruzifix, Pieta, Auferstehender und Offener Himmel- um nur einige zu nennen. Auch die Skulpturen im Eingangsbereich sind vom Künstler selbst bezeichnet und stammen aus dem religiösen Kontext: Gebet, Engel, betende Hände und andere ... Wir wissen ja, daß so gut wie alle Kunstbetrachter gerne erst den Titel und dann das Kunstwerk anschauen. Das geht hier nur mit Zettel (gleich beim Eingang zu haben) und macht die Sache aber nicht unbedingt einfacher. Denn alle Arbeiten von Thomas Werk sind freie Figurationen, die bisweilen Assoziationen an Gegenständliches zulassen oder herausfordern, aber niemals etwas Sichtbares abbilden oder illustrieren. Bei den gemalten Arbeiten sind es zeichenhafte und gestische Figuren mit viel Umraum auf weiten Flächen, die Skulpturen schaffen sich ihre Räume aus der Dreidimensionalität. Keine Auge hat diese Figurationen in dieser Form je zuvor gesehen. Das Zeichenhafte und Gestische dieser Werke, ob gemalt oder in dreidimensionalen Skulpturen geschaffen, ob streng gebaut oder dynamisch bewegt, erzeugt Räume der Imagination. Sie erzählen nichts, was wir schon wissen, sie verfügen über nichts, diese "Zeichen und Wege"- so der Titel der Ausstellung - sie suchen vielmehr etwas. Die visuelle Energie, die in dieser Suche nach der Gestalt und dem Ausdruck in diesen zeichenhaften Arbeiten steckt, enthält ein starkes Moment des Ergriffenseins. Das heißt, jedes Bild - zum Beispiel auch das, was auf der Einladung abgebildet ist - "Ich erzähle Dir meine Wege" nach Ps. 119 - zeugt vom Ergriffensein. Die Art und Weise der Entstehung der gemalten Bilder läßt das nachvollziehen, vielleicht, der Künstler ist anwesend, man könnte ihn über seine Arbeitsweise befragen. Deutlich wird beim Blick aus der Nähe, daß für diese Bilder keine Vorzeichnungen möglich und nötig sind, weil dieses Suchen, von dem eben die Rede war, ein Weg ist, der zwar gedanklich und gefühlsmäßig vorbereitet ist und dann aber prozesshaft schnell ins Bild gesetzt wird. Inspiriert und beeindruckt von Worten aus den Evangelien (Bergpredigt, Golgotha und andere) oder der mitreißenden Poesie der psalms - die der Künstler meistens in winziger, enger, kaum erkennbarer Bleistiftschrift auf dem Bildfeld mitliefert - werden zu bildhaft gestalteten Chiffren und Paraphrasen, wenn Empfindung, der Pinsel in der Hand, das Papier und ein bestimmter Zeitpunkt konzentriert, energetisch und rasch und dabei überaus präzise zusammenkommen - jedes Bild ein Risikounternehmen. Denn das Ergebnis ist nicht korrigierbar. Der Künstler kann es verwerfen oder akzeptieren, aber nicht korrigieren. Es ereignet sich. Das heißt, was hier an den Wänden zu sehen ist, sind Ereignisse, Zeugnisse des Ergriffenseins und damit auch des Verletzlichen und der Anfechtung, übrigens auch zentrale Momente eines jeden Glaubens. Es gibt keinen Glauben ohne dieses Ergriffensein, ohne diese Anfechtung. Gleichzeitig haben wir es mit einer robusten Ästhetik zu tun. Man spürt, daß Thomas Werk die Körperhaftigkeit und das Geerdete kennt, eigentlich sogar zum Ausgangspunkt nimmt, denn die menschliche Figur taucht in streng vereinfachter, stilisierter Form immer wieder auf. Die bildimmanente Suche nach Grenzüberschreitung des rein Irdischen und Materiellen ist Teil dieser unsentimentalen Werke, die aber intensive Gefühle freisetzen können. Oft haben die Figurationen, die Blöcke, Stäbe und Kreise keine festen Umrisse, sie fransen aus, öffnen sich, hinterlassen Spuren in Form von Farbspritzern und Flecken, sind in sich unperfekt und suchen etwas im weiten Bildraum. Wer kennt schon die Wege? Unübersehbar ist dabei die reduzierte Farbigkeit, besonders prägnant im räumlichen Kontext dieses starkfarbigen expressionistischen Kirchenraumes. Thomas Werk kommt im Wesentlichen mit 2 Farben aus: Rostrot und Schwarz, keine herrlich leuchtenden Farben, sie sind eher stumpf und matt und auch das bislang selten vorkommende starke Gelb, ist dunkel vermischt, das Strahlende gezielt vermieden, ein schmutziges Gelb wie bei der Darstellung Auferstehender. Das Rostrot ist eine in Schweden gebräuchliche woodschutzfarbe, sehr haltbar. Von der Material-Ikonografie her also betont alltagsgebräuchlich, unfeierlich, bedeutet das Gegenteil vom Goldgrund. Das Schwarz ist von der gleichen Grundsubstanz. Auch Tusche und Gouache, die eine fluide Qualität erzeugen, kommen vor, und häufig Kohle. Bei dieser gezielten Reduktion der künstlerischen Mittel - im Gestus des Farbauftrages wie der unbunten Farbpalette selbst - bekommen die Arbeiten eine Strenge, die nicht nur eine erstaunliche Wirkkraft hat sondern auch dem Auge wohltut angesichts des penetranten zeitgenössischen Bilderlärmes in unseren Stadträumen. Hinzu kommt die wirklich edle Rahmung dieser Bilder. Sie sind auf Papier gemalt, sind dann von einem Buchbinder auf große helle Leinwände aufgezogen und erhalten dadurch eine Großzügigkeit, eine Noblesse, die sie von ihrem Gehalt her auch fordern. Die Arbeiten von Thomas Werk sind asketisch, sie fasten. Bilder wie Skulpturen haben etwas Karges und Schweigsames und in dieser enthaltsamen Ästhetik besteht ihr Geheimnis und ihre bisweilen kalligraphische Kostbarkeit, ganz ohne wertvolle Materialien. Dabei wird sich nicht jedes Werk für jedes Auge gleichermaßen erschließen. Je mehr Zeit Sie übrig haben, um so eher bekommen Sie Zugang ... die Titel können dabei helfen - oder auch nicht. Unter der Überschrift "Zeichen und Wege" sind die Bilder hier an den Wänden der Seitenschiffe des Kirchenraumes zu sehen. Bei ihrer Hängung, die der Künstler selbst vorgenommen hat, herrscht eine überlegte Ordnung, der Sie folgen können, wenn sie wollen, aber zum Verständnis der Arbeiten nicht unbedingt müssen. Es sind an jeder Wand entlang der Seitenschiffe jeweils 9 Bilder, die in Dreier - Konstellationen wie Triptychen zusammen gesehen werden können. Sie entstanden zwischen 2003 und 2008. Der Rundgang beginnt vom Eingang her gesehenen links mit der ersten Dreierkonstellationen, eher kleinformatig - Engel/Jesustorso/Weinstock - geht weiter über die schon mehrfach ausgestellte Verkündigung an Maria über eine ganz neue woodskulptur mit dem Titel Wegrandkapelle (aus Fundstücken zusammengesetzt), die im ersten Abschnitt des Seitenschiffes frei im Raum steht, und weiter geht es dann entlang des Seitenschiffes mit den Dreier-Konstellationen Stall/Kruzifix/Pieta und Tisch/Bergpredigt/Schädelstätte bis zum Ende des Seitenschiffes, und setzt sich dann auf der anderen Seite von der Chorseite her gesehen fort und entläßt uns, wie ich finde, höchst sinnfällig mit dem Pilger neben dem Ausgang. Bleibt zu sprechen von den Skulpturen, ein wichtiger, wenn nicht zentraler Bereich des künstlerischen Schaffens von Thomas Werk. Es sind Prototypen aus Stahl für Monumente, die in wirklich monumentalen, geradezu riesigen Dimensionen vom Künstler gedacht sind, z.B. als Monumente im städtischen Raum. Diese Prototypen sind auch in ihrem kleinen Format (um die 40 cm hoch) eindrucksvolle Kunstwerke: die Klage, die betenden Hände, der Stern von Bethlehem oder der Engel. Für diese Stahl-Skulpturen entstehen Vorzeichnungen, nach denen der Metallbauer Einzelelemente anfertigt und miteinander verschweißt. Ganz neu angefertigt wurden dafür die Sockel, sie bestehen aus unbearbeiteten älteren, geradezu historisch anmutenden Stahlplatten, die vom Künstler völlig unbeeinflußt eine hoch differenzierte Färbung angenommen haben, die staunen läßt. Erinnern sie doch an den teuerst hergestellten Stuckmarmor, den wir aus barocken Altären kennen - und das für Skulpturen, die alles andere als barock sind, aber doch in aller Armut eine feierliche, fast sakrale Aura bekommen. Auf den im Eingangsbereich gleich in den Blickpunkt gerückten Engel sei besonders hingewiesen. Seine Formen sind extrem einfach in der für Thomas Werk typischen Reduktion auf geometrische Urformen: Kreis, Quadrat, Rechteck schaffen sich dreidimensional und blockhaft Raum und assoziieren in dieser strengen Abstraktion eine aufrecht stehende Gestalt mit ausgebreiteten Armen oder Flügeln. Erinnerungen an Kreuz und Triptychon stellen sich ein, wer derartige Assoziationen zulassen möchte. Gedacht ist dieser (noch) kleine Engel als öffentliches Zeichen in der Stadt, vielleicht Berlin, fest geerdet und gleichzeitig aufragend in den Himmel. Gerade der unprätentiöse Werkstoff Stahl eignet sich für dieses Monument hoheitsvoller Stille. Man könnte sich vorstellen, wie der Engel hoch in die Lüfte ragt und der Himmel und die wechselnden Witterungs- und Lichtverhältnisse an der Wirkung mitbauen - ein Projekt, das der Realisierung harrt. Vorerst steht der Engel in guter Umgebung auf seinem schönen Sockel in dieser so besonderen und kraftvollen Kirche am Hohenzollernplatz, wo er sich gar nicht schlecht macht. Es ist Thomas Werks erste große Ausstellung in Berlin - ich beglückwünsche ihn. Seine Arbeiten haben hier einen großartigen Ort gefunden. Dr. Christine Goetz
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