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Ein robuster Engel Monika Grütters
Da steht er nun. Geerdet, standfest, handfest, eindeutig und
klar. Robust. Ein robuster Engel. Ein Engel? Ganz klar ein Engel
– so einfach er ist, so eindeutig ist diese Stahlskulptur ein Engel.
Der Engel, den ich meine, steht in meinem Büro genau
gegenüber dem Arbeitsplatz, so dass ich ihn immer im Blick
habe, wenn ich das möchte – ihn aber auch immer mal wieder
sehe, wenn ich gerade gar nicht daran dachte. Eine solche
zufällige, zuweilen überraschende Begegnung mit meinem
Büro-Engel kann ganz urplötzlich den hektischen Arbeitsalltag
unterbrechen, eine Sekunde des Innehaltens im schnellen Rhythmus
des Geschäfts bewirken. Das gelingt ihm, dem Engel, meinem
Engel, den Thomas Werk geschaffen hat, immer wieder – trotz der
Vertrautheit, die die Figur für mich schon lange hat, die
sie im Grunde genommen von Anfang an besaß. Was macht diese
archaisch anmutende Figur zu einem Engel? Die Arbeit des
Berliner Malers und Bildhauers Thomas Werk begegnete mir, als der
Künstler seine Idee einer monumentalen Engelsigur für
die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße vorstellte.
Er hatte zur Anschauung sein eigenes kleines Stahl-Modell mitgebracht.
Die schiere Größe seines Entwurfs, immerhin 15 Meter
im Stadtraum, zwingt den Künstler zu einer radikalen Reduktion
der Formen. Dieser minimalistische Ansatz führt zu einem Verzicht
auf jede sonst beim Thema Engel so typische Ausgestaltung der Figur
mit allerlei Verzierungen. Thomas Werk schafft mit den geometrischen
Urformen Kreis, Quadrat, Rechteck eine blockhaft im Raum stehende
Gestalt mit ausgebreiteten Armen oder Flügeln, einer Kugel
als Kopf und einem fest mit dem Boden verbundenen Sockel...
Ein heutiger Künstler, der immer wieder christlich-religiöse
Themen aufgreift – das ist bemerkenswert. Thomas Werk tut dies mit
großem Ernst, die Bearbeitung biblischer Themen charakterisiert
sein gesamtes künstlerisches Schaffen. Werk selbst steht dabei
für genau das, was seine Arbeiten immer wieder künden:
Größe, Gelassenheit, Ernst, die Suche nach dem Wesentlichen...
Die eigentliche Bestimmung, die Thomas Werk für seinen
Engel vorsieht, ist die Mahnung an einem markanten Standort der
ehemaligen Mauer, genauer: dort, wo die Mauer – als Mahnmal – noch
heute steht, an der Bernauer Straße. Gerade hier soll mit
großem Gestus ein unübersehbares christliches Zeugnis
der Zuversicht gegeben werden. Der Engel beschützt, er ist
ein Bote Gottes. Thomas Werk aber möchte mit der
monumentalen Skulptur nicht zuletzt intervenieren, ein öffentliches
Zeichen setzen, das einerseits fest auf dem Berliner Boden steht,
andererseits gen Himmel ragt. An diesem Ort, der so viele erschütternde
Szenen an der Mauer und durch das Trennende des Todesstreifens erzählt,
könnte dieser unerschütterliche Engel der Stadt einen
neuen Ton der Wachsamkeit geben – der Wachsamkeit als einem bedeutenden
Element der Erinnerungskultur... Immer liegt seinen Arbeiten
ein gewisser Ernst inne, und doch entbehren viele auch nicht einer
stillen Heiterkeit. Die Monumentalität seiner Formen korrespondiert
durchaus mit einer Monumentalität im Denken unserer Zeit. Wenn
Thomas Werk sich mit »Engeln«, mit dem »Gebet«,
mit der »Bergpredigt«, mit dem »Stern« oder
mit dem »Kruziix« beschäftigt, dann geht es um
existentielle Fragen und Phänomene. Seine Arbeiten sind Zeugnisse
seiner Auffassung von Wahrhaftigkeit, von spiritueller Kraft und
von einer christlichen Grundierung seines Verständnisses unserer
Welt. Thomas Werks Engel, sein Engel in meinem Büro,
mein Engel, er ist wie ein Archetyp jenes Beschützers unseres
Lebens, jenes Wächters, jenes Götterboten, dem unser aller
Sehnsucht gilt. In der robusten Ästhetik wird die Erdverbundenheit
spürbar. In der Körperhaftigkeit ist er uns nah. Seine
Stille ist überwältigend. |
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