G e d I c h t e
Von Hand zu Hand. Zunge an Zunge. Schritt um Schritt.
Von Flügel zu Flügel. Schrei in der Luft. Vor
dem Donner.
Vom Meer zur Quelle. Durch das Land. Zum Berg.
Vom Feuer zum Rauch. Flammen im Dunkel. Wasser darauf.
Von Schnee zu Regen. Am Boden. Auf dem Gras.
Von der Nacht zum Tag. Von Morgen zu Morgen. Vom Kommen
zum Gehen.
...
Es ist erfüllt, es ist Nacht, sage Ja.
Leere Hand und leere Hand zusammen.
Die ganze Zeit und die Stille dazwischen.
So lange wie Wasser geht vom Berg ans Meer.
Kein Weg, den wir kennen und zurückfinden.
...
Öffne den Mund, als ob du den Kuß wie Nahrung
empfängst; an kalten Tagen die wärmende Suppe.
...
Durch den Regen komm, durch den kalten Regen; höre
auf und sprich nicht mehr davon, daß es zu Ende geht.
Wir sind besiegt und haben viel verloren; am Ende des
Sommers werden wirr die Blätter und liegen am Boden.
Durch den Regen komm, durch den kalten Regen; wir sind
Gefangene und können nicht mehr wählen, ob wir
bleiben oder gehen.
Was wir wissen und was wir nicht wissen und was wir finden
und nicht sehen können, es kann uns nicht helfen.
Durch den Regen komm, durch den kalten Regen; das Wasser
von oben und das Wasser von unten, es wird uns nicht treffen.
...
Warum willst du so ganz vergessen, alles zerreißen
und zerbrechen, daß da nichts mehr ist, daß
erinnert an dich und an mich?
Warum willst du so ganz vergessen und wir erkennen und vermissen,
was nicht mehr kommen kann, nicht damals und nicht jetzt danach?
Warum willst du so ganz vergessen und nichts hinterlassen?
Warum willst du so ganz vergessen, ist denn alles erloschen
und vergeblich und verloren, dunkel und verlassen?
Warum willst du so ganz vergessen und kannst nicht – schlafen?
...
Kaum, oder so unmerklich wie Schnee sich häuft,
rede ich eigentlich in Gedanken nur mit dir.
...
Die Vögel sind lauter, als du und ich.
...
Noch nicht getrocknet in der heißen Sommernacht
das Regenwasser ist.
Noch nicht entfernt der Trommelschlag des Donners.
Die Blitze zeichnen die Geweihe eines Rudels Hirsche
in die Luft.
...
Das erschreckte Kreisen der Tiere um`s Licht.
Mehr aus der Dunkelheit heraus kann man nicht!
...
Die Vögel haben die Stadt verlassen. In den Zimmern
wird es kühl.
...
Vor den Augen schießen die Schneeflocken wild vorüber,
doch sieht man in den Himmel hinauf, wundert man sich über
die Langsamkeit mit der sie in einiger Höhe über den
Menschen schweben. Fast ist es wie ein Klagelied, ehe sie
in den geschäftigen Strom der Stadt gerissen werden. Ist
es nun, daß der erwärmte Atem der Menschen ihr Sinken
beschleunigt oder stürzen sie mit Überzeugung in einen
schnellen, unbeachteten Tod? Ich glaube indessen weiter
daran, ihr Zerschellen auf dem Asphalt gesehen zu haben.
...
Die Straßen der Stadt, das geknüpfte Netz
einer trägen, aber wahnsinnigen Spinne.
...
Heute fiel ein Regen mit leichten Tropfen, aber so dicht,
daß es in den Straßen dunkler wurde. Innerhalb weniger
Minuten drang die Nässe durch die Kleidung. Der matte
Himmel war wie eine niedrige Zimmerdecke und aus einheitlichem
Grau. Im Unabänderlichen des so ruhig herabkommenden
Regens und der Vielzahl ihre Wege einander kreuzender Menschen,
überwog deutlich die Stille der aufschlagenden Regentropfen,
trotz der Schritte und des Verkehrs.
...
Ein paar Schneeflocken blieben noch an der Jacke. Kaum habe
ich die Schuhe von den Füßen gezogen, tropft
das Wasser von den Ärmeln. Ich schalte das Licht aus, um
in der Dunkelheit das Aufschlagen mitzuzählen.
Ich erhoffe mir von dieser Rechnung eine magische Lösung,
eine Art Wanderstab, der einem Blinden den Weg weist.
Und der bekannt dafür ist, noch nach Jahrhunderten an Orte
einstiger Liebe zurückzufinden.
...
Wir können nicht länger hierbleiben, laß
uns das Notwendige holen und erfüllen, was wir können
oder niederfallen und wieder aufrichten.
Komm, (mit mir), wir werden nie mehr frei sein,
niemals aufhören und an bestimmten Tagen vollkommen
schweigen.
...
Durch Berührung aber sind wir der Wandlung fähig,
uns langsamer noch als Berge zu bewegen.
Beinah so, daß im völligen Dunkel der Nacht
die Grenzen verschwinden.
...
Etwas anderes gibt es nicht, sei entschlossen; alle Seiten
und alle Vorzeichen, (die du ja kennst) erreichen wir;
sei entschlossen, Kostbares zu verwerfen, (ich weiß,
wovon ich spreche), etwas anderes gibt es nicht, sei entschlossen,
schätze die Sternmassen ab, verschiebe das Licht in der
Nacht, gültige Gedanken ohne Worte, Voraussetzung für
die Sehkraft des Schnees und auch Schwanken und Scheitern
im Beisein von Flüssen; sei entschlossen, etwas anderes
gibt es nicht, wer berührt, erwartet keine Genauigkeit,
sei entschlossen, etwas anderes gibt es nicht, es wird dich
niemals verlassen und sich niemals erfüllen; sei entschlossen,
etwas anderes gibt es nicht!
...
Das Eis zerbricht unter Schuhen heute Morgen, dann regnet
es nur noch und schon gegen Mittag läuft überall
das Wasser herunter.
Die Hände zu einer Schale gehalten, gehe ich lautlos
weiter und komme damit zu dir zurück. Manchmal Ja und
manchmal Nein.
...
Liebe ist Unerreichbarkeit und darum macht es auch nichts,
wenn wir in Unruhe beginnen und mit Verlusten enden.
...
Jetzt ist es kalt. Zieh warm dich noch einmal an. Morgens,
wenn es schneit, verliert man den Verstand. Die Wellen gehen
unter, der Kopf des Sturms in die Kissen sinkt; und
vielleicht Träne, vielleicht Trost; Schlag` die Decke noch
einmal über uns zusammen, denn unter Wasser ist
man schwerelos.
...
Ich habe Jahre gewartet, es war meine Arbeit, ohne Routine
und nur eine Art zwischen Morgen und Abend zu unterscheiden.
...
Die Sonne zwischen den Ästen flimmert;
und wie in alter Zeit, verschreckt, verschwinden Tiere
im Gestrüpp.
....
Schöner sterben je; und träume,
immerfort rauscht die zerrissene See.
...
All der ganze Regen heute, wo soll der bloß hin?
Als ob die Menschen Schiffe wären, ausgestoßen
von des Himmels breitem Hafenbecken Schoß. So treibt`s
sie umher, denn zwischen zwei Meeren weiß niemand
wohin.
...
Es ist spät geworden und wir sind hungrig. Schneide
Brot für jeden ab.
Laß uns alles aufessen, Bissen um Bissen.
Und danach, wenn nichts mehr übrig ist, die
Krumen.
Laß sie dir aus meiner Hand in deinen Mund
schütten.
...
Kalter, kalter Regen
in dieser Nacht -
Faden um Faden.
...
Abgefallene Blütenblätter
verstreut im nassen Gras -
kein Windstoß mehr.
...
Du bist da
und ich bin da
und liegen bleibt
der Schnee für eine Nacht.
Du bist da
und ich bin da
und wir bleiben hier
für diese Nacht.
Du bist da
und ich bin da
und wir sind
still danach.
...
Auszüge aus " Die Hand im Fluß
" © Thomas Werk · 2000 |